Story
11127 Holt holt Gold

Nina, musstest Du schon jemanden vor dem Ertrinken retten?

Nina Holt: Nein.

Viele glauben Rettungsschwimmen aus der Serie „Baywatch“ zu kennen …

Nina: Ja, das ist oft die erste Assoziation. Selbst die meisten Schwimmer wissen nicht, was Rettungssport ist, und stellen sich Leute vor, die am Ostseestrand Wache halten. Mittlerweile nehme ich das mit Humor und versuche mich nicht angegriffen zu fühlen.

Wie sieht die Realität aus?

Nina: Die wenigsten die Rettungssportler machen zusätzlich Wachdienst. Ich war mit 15 Jahren im Junior-Einsatzteam für ein Wochenende an einem Waldsee bei Erkelenz, um von den Älteren lernen und ein bisschen Spaß zu haben. Ab 16 Jahren darf man in den Wachdienst (Wasserrettungsdienst) – so weit ist es bei mir nicht gekommen.

Könntest Du „Rettung schwimmen“?

Nina: Ich wäre dazu fähig, Menschen aus dem Wasser zu holen und Erste-Hilfe Maßnahmen zu ergreifen. Rettungssportler sind verpflichtet, alle zwei Jahre das Silberne Rettungsschwimmabzeichen abzulegen. Wir ersetzen aber keine Sanitäter. Manche sagen, wir sind keine wirklichen Rettungsschwimmer: Wie wollt ihr Leben retten, wenn ihr Puppen kopfüber durch das Wasser zieht?

Ein Mensch würde in der Tat ertrinken. Warum wird das in deiner Sportart so gemacht?

Nina: Das ist ein bisschen irreführend, so würde man tatsächlich keinen Menschen retten. Das Rettungsschwimmen wird immer mehr auf den Sport zugeschnitten. Die Puppe liegt mit dem Gesicht nach unten besser im Wasser, weil ihr Schwerpunkt oben ist. Die Rennen werden so immer schneller und interessanter für Zuschauer. Ich finde die Versportlichung sehr gut. Dadurch verstehen die Leute besser, dass es eine Sportart ist. Der Rettungssport ist inzwischen ein eigenes Ressort in der DLRG, dass nicht mehr dem Einsatzbereich zugeordnet ist. Wir trainieren auf Wettkämpfe hin und nicht auf einen realen Rettungseinsatz.

Klarstellung – Was ist Rettungssport?

In diesem Beitraggeht es nicht um die Glorifizierung des Rettungssports. Niemand ist in Not, wenn Nina ins Wasser springt. Der englische Begriff „Life saving“ imaginiert gar heroische Taten der Sportler. Die Daseins-berechtigung des Rettungssports ist dadurch weder größer noch geringer als jene anderer Sportarten. Vor allem vor falschen Vorstellungen sollte deshalb gerettet werden.

Ursprünglich entsprang der Rettungssport der Idee, Menschen für den Wasser-rettungsdienst zu gewinnen. Denn gute Rettungssportler sind auch gute Rettungsschwimmer. Sie übernehmen Erste-Hilfe-Maßnahmen, die in unmittelbarer Nähe zum Wasser notwendig sind. Kraft, Kondition, Schnelligkeit und die Beherrschung der Rettungsgeräte sind Voraussetzung dafür, auch im Wettbewerb konkurrenz-fähig sein zu können.

Im Rettungssport gibt es 12 Einzel-Disziplinen, je 6 im Becken und im Freiwasser, über unterschiedliche Distanzen. Teils wird mit Flossen geschwommen. In der Deutschen Lebens-Rettungs-Gesellschaft e.V. (DLRG) betreiben rund 60.000 Mitglieder aktiv Rettungssport. Die DLRG ist mit über 1,7 Mio. Mitgliedern die größte Wasserrettungsorganisation der Welt und der wichtigste Schwimmausbilder in Deutschland. Im Jahr 2022 verzeichnete die DLRG 355 tödliche Unfälle im Wasser. In NRW waren es doppelt so viele wie im Vorjahr (von 24 auf 56).

Klarstellung – Was ist Rettungssport?




Exzellenz aus Erkelenz

Nina Holt (Jg. 2000) zählt bereits nach ihrer ersten Teilnahme an den World Games zu den erfolgreichsten Rettungssportlern aller Zeiten. Die 19-jährige Erkelenzerin hat mehrfach Rekorde gebrochen. Bei den großen Sportereignissen im Jahr 2022 hätte sie sechsmal dieselbe Schlagzeile über sich lesen können: Holt holt Gold.

„Ich war die, die im Seepferdchen-Kurs eher durchs Becken gelaufen ist, anstatt zu schwimmen“, sagt Nina. „Ich bin vom Boden abgesprungen. Das gab immer Ärger.“ Am Ende hat es irgendwie doch geklappt. Ninas Mutter war Übungsleiterin beim Anfängerschwimmen im alten Erkelenzer Bad. Möglich, dass sie damals begann, genauer hinzuschauen, was ihre Tochter im Wasser veranstaltet. Auch am 10. Juli des vergangenen Jahres. Der Anlass war einige Nummern größer als das Seepferdchen und Utes Anwesenheit überraschend. „Warst Du auch schon da?“, kommentierte sie ein Foto von der Moon Shine Rooftop Bar mit der Skyline von Birmingham im Hintergrund und schickte es Nina. Die Mutter erlebt live mit, wie Nina bei den World Games im US-Bundesstaat Alabama fünfmal Edelmetall gewann. Dass sie sich dabei auch mal vom Beckenboden abstieß, war hierbei sogar regelkonform.

„So krass“ – überall nur Sportler

Nina ist 14 Jahre alt, als sie im Fernsehen zum ersten Mal Notiz von den World Games nimmt. „Ich dachte: Wow, da möchte ich hin.“ Fünf Jahre später ist sie tatsächlich dabei. Wobei „dabei“ extrem untertrieben ist. Nina dominiert. An den World Games in Birmingham nahmen Aktive aus 110 Nationen teil. „Es war so ein krasses Erlebnis. Mit nichts zu vergleichen. Unbeschreiblich. Das Athletendorf war auf einem Unicampus. Man geht aus der Tür und sieht überall nur Sportler.“

Lächelnd zu Rekorden

Nina ist die Jüngste in der Nationalmannschaft, tritt aber in den meisten Disziplinen an: sechs Starts innerhalb von zwei Tagen. Ihr erstes Rennen ist an einem Nachmittag. Nina hat eine „entspannte“ Nacht hinter sich und konnte ausschlafen. Ein besonderer Luxus für Schwimmer, die normalerweise schon Bahnen ziehen, während sich andere im Bett nochmal umdrehen.

Eine Woche vor den World Games war Ninas Stimmung „eher naja“. Jetzt aber stimmt die Form. „Da muss man dann ehrlich mit sich selber sein“, erklärt sie. „Wenn man die Nerven behält und im Wettkampf reproduziert, was man trainiert hat, dann läuft es einfach. Ich bin lächelnd ins Rennen gegangen und habe mein Ding gemacht.“ Sie gewinnt ihr erstes Gold in der Disziplin 200 Meter Hindernis, bei der pro Bahn zwei 70 Zentimeter tiefe Hindernisse untertaucht werden müssen. Nina unterbietet die von ihr selbst aufgestellte deutsche Bestzeit um drei Sekunden. Innerhalb von 48 Stunden legt sie zwei World-Games Rekorde, einen Weltrekord und reichlich Edelmetall nach.

Zwei Monate nach den World Games reist Nina als Favoritin zu den Weltmeisterschaften im italienischen Riccione. Erneut bricht sie Rekorde und heimst Medaillen ein.

Foto: Denis Foemer (DLRG)

Sie taufen sie „Wasser-Usain-Bolt“

„2022 war das erste Jahr, in dem es durch und durch gut lief“, schwärmt die Athletin. „Ein Unterschied wie Tag und Nacht“, sei es gewesen, im Vergleich zur Saison davor. Wegen Corona blieben damals viele Bäder geschlossen. „Ich bin von Ort zu Ort gereist, um irgendwie Wasserzeiten zu bekommen.“ Dass es sportlich auch anders laufen kann, lehrte die Europameisterschaft. Nina setzt ein Rennen in den Sand. „Das hat mich in dem Moment fertiggemacht“, erzählt sie. „Aber ein schlechter Wettkampf entscheidet nicht über meine Karriere.“ Schon das nächste Rennen lief besser. Am Ende fährt sie ihre erste internationale Medaille in der offenen Klasse ein: Bronze über 200 Meter Hindernis.

Nach ihrem Abitur wird Nina Sportsoldatin. Sie zieht nach Warendorf im Münsterland, wo sich der Bundesstützpunkt für Rettungssportler befindet. Dort trainiert sie täglich mit Material – Puppen, Gurte, Flossen – anstatt nur vor den Wettkämpfen. „Warendorf war ein Leistungssprung“, sagt Nina. Vier Monate nach ihrer Ankunft stellt sie ihren ersten Weltrekord bei den Deutschen Einzelstrecken-Meisterschaften auf – in ihrer Lieblingsdisziplin, der kombinierten Rettungsübung. Zuerst im Vorlauf, dann unterbietet Nina sich selbst im Finale. Ihre Trainingsgruppe verpasst ihr den Spitznamen „Wasser-Usain-Bolt“.




Ninas World-Games-Bilanz

Gold über 200 Meter Hindernis
Bronze über 100 Meter Retten mit Flossen
World-Games-Rekord über 50 Meter Retten
Gold mit der Staffel „4 x 25 m Retten einer Puppe“
Gold + Weltrekord mit der Staffel „4 x 50 m Retten mit Gurt“

Ninas WM-Bilanz

Gold + Weltrekord über 100 Meter Kombinierte Rettungsübung (1:07,04 Minuten)
Gold + Europarekord über 50 Meter Retten einer Puppe
Silber mit der Staffel „4 x 25 m Retten einer Puppe“
Bronze über die 200 Meter Hindernis
Bronze mit der 4×50-m-Rettungsstaffel
Bronze mit der Rettungsstaffel im Freigewässer

Wie fühlt sich das an, einen Weltrekord zu brechen?

Nina: Das mit dem Rekord war eine krasse Sache. Durch meine Zeiten im Training wusste ich, so langsam bin ich nicht. Ich hatte mir den Rekord dann in gewisser Weise vorgenommen. Während des Rennens denkt man nicht: Ich will Weltrekord schwimmen, sondern: Ich will maximal schnell schwimmen. Wir hatten Sprecher in der Halle. Die hatten es gar nicht auf dem Schirm. Ich war mir im Ziel selbst nicht sicher. Die Liste der Rekorde war nicht aktualisiert worden. Ich hatte mir vor dem Rennen die Rekordzeit nochmal angesehen – aber eben die falsche, nicht aktuelle Zeit. Es hätte unangenehm werden können (lacht). Ich war dann knapp darunter. Als ich aus dem Wasser gestiegen bin, sprintete einer aus meiner Trainingsgruppe zum Sprecher. Natürlich ist in diesem Moment noch nichts offiziell, aber die Zeit war erstmal gefallen. Das war für mich in dem Moment genug, um ein bisschen zu feiern.
(Foto DLRG/Daniel-André Reinelt)

Wie fühlt sich das an, einen Weltrekord zu brechen?

Die Puppe braucht Gefühl

Bei der kombinierten Rettungsübung müssen erst 50 Meter Freistil absolviert werden. Dann tauchen die Athleten nonstop 17,5 Meter zum Boden des Beckens. Dort nehmen sie eine 50 Kilogramm schwere Puppe auf, wobei sie sich vom Boden abstoßen dürfen, um die Puppe die übrigen 32,5 Meter ins Ziel zu schleppen. Es kommt auf Geschicklichkeit an. Nina: „Es gibt unheimlich gute Schwimmer, die aber nicht das Gefühl dafür haben, wie man eine Puppe bewegt. Es gibt so viele technische Feinheiten. In der ‚Kombi‘ ist es egal, ob du auf den ersten 50 Metern vorne bist, denn man muss noch zur Puppe tauchen, sie aufnehmen und mit ihr schwimmen. Allein bei der Aufnahme kann die Puppe aus der Hand rutschen und das Rennen entschieden werden.“

So ein Missgeschick passierte Nina zuletzt bei den Deutschen Meisterschaften 2018. Sie verlor die Puppe. Das kostete fünf Sekunden und das Podium. Bitter: In derselben Disziplin hatte sie zuvor bei der Jugendeuropameisterschaft (JEM) Silber gewonnen. Dass sie überhaupt mit damals 15 Jahren an einer JEM teilnehmen konnte, war besonders. Erst 2015 war sie der DLRG Erkelenz beigetreten – eigentlich nur, um mehr Schwimmzeiten abzubekommen. Dass es im Rettungsschwimmen Wettkämpfe gibt, wusste sie nicht. Die DLRG-Ortsgruppe war ein Tipp von Mama. „Im Schwimmsport wäre ich zu dem Zeitpunkt nicht bei einer EM gestartet.“ Die Geschichte nimmt ihren Lauf.

FELIX-Gratulanten: NRW-Ministerpräsident Henrik Wüst (l.), Dr. Ingo Wolf, LSB-Präsident Stefan Klett (r.). Foto: Andrea Bowinkelmann

Präsidenten gratulieren

Nina Holt wird als World-Games-Athletin des Jahres nominiert. Bundespräsident Steinmeier zeichnet sie und die anderen Goldmedaillengewinner mit dem Silbernen Lorbeerblatt aus. Es ist die höchste Auszeichnung für sportliche Spitzenleistungen in Deutschland. Zum Jahresende gratuliert NRW-Ministerpräsident Hendrik Wüst zum FELIX Newcomer-Award. Die Preisträger werden jährlich von den Bürgern per Online-Voting bestimmt. Geht es nach Nina, darf ein „kleiner Erfolg“ nicht unerwähnt bleiben, der nichts mit Rettungssport zu tun hat. Mit dem dritten Platz bei den Deutschen Meisterschaften über 50 Meter Freistil bewies sie sich: „Ich kann auch was im Schwimmen.“

Schwimmen ist im Gegensatz zum Rettungsschwimmen eine olympische Sportart und damit näher dran an Fördertöpfen und Medienpräsenz. „Ich finde es schade, dass unsere Leistungen manchmal runtergespielt werden“, sagt Nina. „World-Games-Sportler machen ihre Sportarten mit dem gleichen Ehrgeiz, mit dem gleichen Ziel zu gewinnen. Man denkt, man bekommt mehr Anerkennung, aber dann gibt es immer wieder mal Punkte, wo man sich denkt, es könnte ein bisschen besser laufen.“ Langsam entwickle sich mehr Förderung für Rettungssportler. Bei der Sportstiftung NRW können sich World-Games-Sportlerinnen und -Sportler seit 01.01.2023 um eine gleichberechtigte Individualförderung bewerben.

Vom FELIX nach Magdeburg (und nach Australien?)

Nach der FELIX-Gala im Dezember bezieht Nina eine 60-Quadratmeter-Wohnung in Magdeburg. In dem Plattenbau wohnen Studenten und Rentner. Ninas erste eigene Wohnung ist „ganz schnuckelig“ und nur fünf Gehminuten von der Elbehalle entfernt. Bundestrainerin Elena Prelle hatte die DLRG zum Jahreswechsel auf eigenen Wunsch verlassen. Da ein Trainerwechsel somit ohnehin anstand, entschied sich Nina nach einigen Probetrainings in ganz Deutschland für den Wechsel von Warendorf an den Bundesstützpunkt „Schwimmen“ in Magdeburg. NRW bleibt sie durch ihre Vereine, die SG Mönchengladbach und die DLRG Harsewinkel, verbunden. Die Trainingsgruppe von Bernd Berkhahn in Magdeburg gilt als eine der stärksten weltweit, unter anderem mit Olympiasieger Florian Wellbrock. „Ich finde es wichtig, sich im Training wohlzufühlen, einem Trainer zu vertrauen und zu verstehen, was wir trainieren. Ich glaube, der Wechsel wird mich weiterbringen.“

Im Schwimmen wird 2023 erstmalig eine U23-EM ausgetragen. „Das schlägt eine Brücke zwischen Jugend und offener Klasse“, erklärt Nina. Wittert sie eine Chance, im olympischen Sport durchzustarten? „Ich will erstmal die Teilnahme schaffen“, wiegelt die Newcomerin ab. Dieses Prinzip hat bisher gut funktioniert: Erstmal am Boden bleiben und sich dann abstoßen. „Vielleicht ziehe ich in neun Jahren nach Australien und will Olympia im Rettungssport machen.“




Categories: Story Schlagwörter: , , , , , , | Comments 9686 Ein großer Spiegel

Die ehemalige Hürdensprinterin Pamela Dutkiewicz-Emmerich (31) ist achtfache deutsche Meisterin. Sie gewann zwei Medaillen bei der Europameisterschaft und als Höhepunkt Bronze bei der WM 2017 in London. Im September 2021 beendet sie ihre sportliche Karriere und erfuhr vom Trainee-Programm der Sportstiftung NRW mit der Dortmunder Stadtwerke AG (DSW21). Parallel macht Pamela eine Ausbildung zum systematischen Coach. Schon steht der nächste große Umbruch bevor: 2023 wird sie Mutter. Hier berichtet sie von ihrer neunmonatigen Trainee-Zeit:

Angst vor dem „Nichts“

Als klar war, ich höre mit dem Sport auf, und ich habe Lust, etwas außerhalb meiner Netz-Bubble zu tun, habe ich die Sportstiftung NRW angerufen. Das Trainee-Angebot fand ich sofort spannend. Man ist in der aktiven Zeit den Blick schon sehr fokussiert auf alles rund um den Sport. Daher hatte ich ein bisschen Angst vor dem „Nichts“ danach. Ich konnte meine Fähigkeiten gar nicht einschätzen. Was muss ich im Job tun? Kann ich ja gar nicht. Habe ich nie gemacht.

Inzwischen weiß ich: Wenn man Lust hat, motiviert ist, Impulse aufnehmen kann – dann kann man sich überall reinfuchsen. Diese Mauer tiefer zumachen vor der Berufswelt, in der mir völlig die Erfahrung fehlte, das war wirklich erleuchtend! Meine Zeit Trainee-Zeit hat mich beruhigt, weil sie mir gezeigt hat, wie breit gefächert mein Aufgabenbereich am Ende sein kann.

„Ich brauche ein klares Ziel und dann laufe ich los und mache.“
Trainee Pamela Dutkiewicz-Emmerich

Ich bin in einem maximalen Veränderungsprozess. Nicht nur meine Tätigkeit hat sich verändert, auch meine Freizeit. In der aktiven Zeit war das entspannt: Buch lesen, Natur, Nervensystem runterbringen. Im Job brauchte ich eher Bewegung und Erlebnis. Ich habe noch nie tagsüber so viele Stunden auf einem Stuhl gesessen. Es war die Challenge, einen Ausgleich zu finden. Ich bin ganz bewusst in jeder Mittagspause um den Block marschiert und war sehr dankbar, mobil arbeiten zu können: auf meiner Terrasse, in der Küche, mal im Café. Nach der Arbeit war ich trotzdem total oft platt.

Ich habe lange gebraucht, um dieses Angestelltenverhältnis für mich einzuordnen. Es ist eine ganz andere Welt als ich bisher kannte. Das machte was mit mir. Ein krasses Aha-Erlebnis. Zu meinem Sportlerinnendasein gehörte zwar mehr als nur das Sporttreiben. Das konnte ich aber alles um den Sport herumbauen. Deshalb war es rückblickend gut und wichtig, dass ich nach dem Karriereende drei Monate hatte, um den neuen Ist-Zustand zu verstehen.

Nach meiner Sportkarriere war ich auf der Suche nach einer Herausforderung, nach etwas Sinnhaftem, nach Verantwortung, Zielen und Orientierung. Im Sport hatte ich die maximale Sinnhaftigkeit in dem, was ich getan habe. Ich musste mich nicht motivieren – ich war immer motiviert. Daher war es total wichtig für mich, herauszufinden, in welche Richtung ich gehen will. Ich bin eine Macherin. Ich brauche ein klares Ziel und dann laufe ich los und mache.

Pamela Dutkiewicz-Emmerich beendete 2021 ihre sportliche Karriere und wechselte ins Trainee-Programm der Sportstiftung NRW mit DSW21.

Out-of-the-box denken

Ich merkte dann, dass ich im Job viel mehr kann, als ich gedacht habe. In der Unternehmenskommunikation bei DSW21 habe ich einiges beitragen können; zum Beispiel wie und wo man Botschaften gut platzieren kann. Ich hätte nicht gedacht, dass es so viele Schnittpunkte zu meinen Erfahrungen als Sportlerin gab. Ich habe die Social Media Kanäle der Stadtwerke bespielt, Projekte zum Weltfrauentag umgesetzt und für die Mitarbeiterzeitung geschrieben. Das war etwas richtig Handfestes. Bei meinen Stationen im Gesundheits- und Personalmanagement ging es oft darum, wie man Leute erreicht. Ich fand es schön, jedesmal in neuen, kleinen Teams zusammenzuarbeiten. Ich musste aber lernen zu kommunizieren, was ich kann, so dass mein Team von mir profitiert.

Da, wo ich keine Fachkenntnis habe, bekam ich oft eine positive Rückmeldung, weil ich „out-of-the-box“ denke. Da kann ich wohl mit meinem etwas anderen Blickwinkel gute Impulse geben – und ich traue es mich auch zu tun. Kollegen sagten, ich hätte so einen Drive, etwas schaffen zu wollen. Für mich war wichtig zu sehen, dass ich den Aufgaben in einem Unternehmen gewachsen bin und dazu lerne. Der Punkt ist, dass du ja auch nicht zu einer Olympaisiegerin geboren wirst, sondern, dass du noch viel aus dir rausholen kannst. Nach oben ist viel offen. Da muss man sich nicht selbst beschränken.

Durchsetzen und Mut haben, sich einzubringen: Das habe ich im Sport gelernt, denn ich hatte immer viel Konkurrenz. Aber wir haben auch viel gemeinsam trainiert. Ein Miteinander mit Wertschätzung und Offenheit gegenüber anderen ist für mich völlig selbstverständlich.

Das Traineeprogramm gab mir so viele Einblicke und wahnsinnig viele Erfahrungen. Das ist für mich wie ein großer Spiegel. Oft sah ich dann: Das war gar nicht der Sport, das war ja ich! Ich habe maximal viel aus den neun Monaten mitgenommen, in denen ich immer mehr zu mir gefunden habe. Zu dem, was mich interessiert, was ich weiter forcieren möchte. Ich habe gemerkt, ich hänge noch am Sport. Jetzt fange ich an, in einem neuen Setting erste Schritte zu gehen, meine ersten Hürdenüberquerungen zu machen – das ist die Arbeit als Coach. Ich habe zum Beispiel eine Weiterbildung zu prä- und postnatalen Trainerin angefangen. 2023 erwarte ich mein erstes Kind.

Die Zusammenarbeit mit
den Sportlern fruchtet
wechselseitig.“
Harald Kraus, Vorstand Dortmunder Stadtwerke AG, Arbeitsdirektor

Steckbrief Pamela Dutkiewicz-Emmerich

Ehem. Hürdensprinterin, Jg. 1991, aus Bochum,
TV Wattenscheid

Erfolge:
2018 2. Platz EM
2017 3. Platz WM
2016 Halbfinale Olympische Spiele
DM-Rekordhalterin über 60m und 100m Hürden

Categories: Story Schlagwörter: , , , , , , , , , | Comments 7883 Mut zu Wuppertal

Hinter der Attahöhle macht die Bigge drei Schlenker, dann passiert sie ein abgeschiedenes Forsthaus. Eine Stauanlage lässt den Pegel dort mehrere Meter anschwellen. Gefährliche Strömungen können entstehen. Wegen dieser Nähe zum Wasserbringen Fabians Eltern ihren drei Söhnen früh das Schwimmen bei. Wald und Wiesen ringsum sind Spielplatz der Brüder. Der Vater ist Förster, die Mutter Ärztin. Besonders dem mittleren Sprössling gilt ihre Sorge. Fabian erlitt als Säugling einen Schlaganfall. Seitdem ist er halbseitig gelähmt (sogenannte Hemiparese). Mit der rechten Hand kann er nicht greifen, den Arm kaum benutzen, den rechten Fuß nicht strecken. Fabian rutscht ein einziges Mal versehentlich ins Wasser. Viele Male steckt jedoch volle Absicht dahinter.

„Als Kind habe ich oft Wörter verschluckt oder einfach vergessen“, erzählt Fabian. Wenn er nervös sei, gehe ihm das heute noch so. Der Schlaganfall verletzte Nervenverbindungen in der linken Gehirnhälfte, wo sich das Sprachzentrum befindet. Fabian behält eine Lese- und Rechtschreibschwäche. Er tut sich schwer, Anschluss bei seinen Schulkameraden zu finden. Er wird scheu, ist schnell verunsichert, manchmal fühlt er sich gemobbt. Das Leben spielt sich überwiegend im Kreis der Familie ab. Fabian beschreibt seine Schulzeit als emotional belastend: „Behinderung und Pubertät sind erst recht schwierig miteinander zu vereinbaren. Ich hatte Angst vor Öffentlichkeit.“

„Ich hatte Angst vor Öffentlichkeit.“
Fabian Brune, Para schwimmer

„Fintos“ einsame Bahnen

Beim Schwimmen kann Fabian abtauchen. Sein älterer Bruder zieht ihn mit. Bald schwimmen beide leistungsorientiert. Doch nur Fabian hält an diesem Kurs fest. Mit zwölf Jahren wird er in den paralympischen Landeskader berufen. Die Eltern fahren ihn einmal pro Woche zum Training nach Köln. Bei einem Kaderlehrgang lernt er Jan aus Wuppertal kennen. Jan fehlt ein Teil des Arms. Die beiden teilen sich im Trainingslager ein Zimmer, werden beste Freunde. Zu Hause im Sauerland wechselt Fabian den Verein, geht ins benachbarte Finnentrop und springt mit 14 Jahren, wenn er kann, jeden Tag ins Becken. Er besorgt sich einen Schlüssel für das „Finto“. Wenn die Badegeäste nach Hause gehen, hat er die Bahnen für sich. Von neun bis halb zwölf. Ganz allein. Die tägliche Routine zieht er durch, bis die Corona-Pandemie den Betrieb lahmlegt.

Nach dem Realschulabschluss beginnt Fabian eine Ausbildung zum Groß- und Außenhandelskaufmann. Er sagt: „Ich bin meiner Mutter extrem dankbar, dass sie damals der Empfehlung mich auf eine Sonderschule zu schicken, nicht gefolgt ist.“ In der Berufsschule ist er mit 16 Jahren der Jüngste. Die Mitschüler haben keine Kontaktscheu: Wann seine Wettkämpfe stattfinden würden und wo man ihn im Internet verfolgen könne, wollen sie wissen. Fabian ist irritiert: „Das war das erste Mal, dass jemand Interesse an mir zeigte. Damit konnte ich nicht umgehen. Ich habe mich immer rausgeredet, wenn die anderen etwas unternehmen wollten.“

Bei der Europameisterschaft 2018 schwimmt Fabian in seiner Paradedisziplin 100 Meter Rücken zur Silbermedaille. Im Jahr darauf wird er Sechster bei der Weltmeisterschaft. Der Sport treibt ihn an, zugleich reibt es den Teen auf: das späte Training, häufige Trainerwechsel, das Auf-sich-gestellt-sein, dann Corona. Die Stressfaktoren mehren sich. „Ich war extrem erschöpft und zunehmend lustlos“, schildert der Schwimmer. „Ich musste etwas ändern.“

Wuppertal macht „weiche Knie“, aber verknüpft zwei Ziele

Fabian erhält Angebote aus Potsdam und Wuppertal. Seine Wahl fällt auf das Bergische, wo die Sportstiftung und der Behinderten- und Rehabilitationssportverband Nordrhein-Westfalen (BRSNW) einen paralympischen Trainingsstützpunkt aufbauen. Fabian kann dort sportliche und berufliche Ziele verknüpfen. Die Sportstiftung holt den Athleten und die Bayer AG an einen Tisch. Das Pharmaunternehmen lernt einen zielstrebigen jungen Mann kennen, der bereit ist, seinen Lebensmittelpunkt in Wuppertal aufzubauen, und dem das berufliche Standbein genauso wichtig ist wie der Leistungssport. Fabian zeigt seine Qualitäten als Administrator in einem Schulungszentrum. Halbtags unterstützt er Bayer-Mitarbeiter bei ihrem nächsten Karriereschritt, morgens und abends trainiert er für die Paralympics-Teilnahme.

Kopfmensch macht Kopfzerbrechen

Die erste eigene Wohnung findet Fabian fußläufig zur Schwimmhalle. Kumpel Jan wohnt zwar ebenfalls in Wuppertal, aber das Abnabeln von der Heimat fällt ihm schwer. „Fabian hatte vor dem Umzug weiche Knie“, sagt Mitja Zastrow. Zastrow – Zwei-Meter-Hüne, Olympionike mit Silber über 4×100 m Freistil (Athen 2004) – wird Anfang 2021 von der Sportstiftung und dem BRSNW als Landestrainer Para Schwimmen eingesetzt. „Mitja ist meine erste Bezugsperson. Wir haben die gleichen Ziele. Er ist für mich ein Halt“, sagt Fabian. Zastrow hat schnell erkannt: „Fabian ist der totale Kopfmensch. Er macht sich über alles Gedanken, was nicht gerade hilft, sich auf das zu konzentrieren, was gerade wichtig ist.“ Wenn die Stressfaktoren zunehmen, gibt Zastrow den Gegenpol. „Als Trainer bist du Elternteil, Onkel, Freund, Vertrauensperson – der Ersatz für viele Rollen im Leben der Sportler“, erklärt er. „Für Fabi ist es super, hier in Wuppertal auch nichtbehinderte Trainingspartner zu haben. Er schwimmt im Training zwar hinterher, aber er hat Leute, mit denen er in den Pausen auch mal quatschen kann.“

„Ich sehe nur Lösungen“

Noch zu wenige Para Athleten seien bereit, Fabians Beispiel zu folgen, obwohl sie jede Unterstützung bekommen würden, so der Coach: „Ich zerbreche mir jeden Tag den Kopf darüber, wie ich Fabi besser machen kann.“ Die Infrastruktur ist vorhanden. Zastrow will sich für mehr Aufklärung bei Nachwuchstalenten und Eltern einsetzen – in ganz NRW, aber vor allem im Einzugsgebiet von Wuppertal. „Ich sehe immer nur Lösungen“, sagt er und beschreibt eine: „Eltern könnten die Kinder morgens zum Training bringen, anschließend gehen sie hier zur Schule, bekommen im Teilzeitinternat Mittagessen und Hausaufgabenbetreuung, können zur Physiotherapie gehen und danach wieder zum Training.“

Fabian trainiert achtmal pro Woche. Gerade lernt er eine neue Technik, die ihm besseren Vortrieb verleiht. Mit der alten schwimmt er eine „Einsneunzehn“ über 100 Meter Rücken. Das genügte nicht für den Finallauf bei den Paralympics in Tokio. Die Umstellung ist ein langer Prozess. „Man wünscht sich, dass es in zwei Wochen klappt, aber es ist halt zwei bis drei Jahre harte Arbeit. Klar, am Anfang sind meine Zeiten erst einmal schlechter“, weiß Fabian.

Wuppertal wertschätzen lernen

„Im Para Sport musst du viel ausprobieren“, sagt sein Trainer. Jede Behinderung erfordert eine eigene Technik. Selbst Para Sportler mit einer Hemiparese, sind trotz identischer Diagnose nicht zwangsläufig vergleichbar. Fabian: „An manchen Tagen ist die Spastik drin, an manchen fühle ich mich gut im Wasser.“

Die nächsten Paralympics finden in zwei Jahren in Paris statt. „Erfolge kommen und gehen“, philosophiert Fabian. „Ich genieße sie natürlich, aber sie sind nicht mein größter Ansporn. Viel wichtiger ist mir, zu zeigen, dass man trotz Problemen Ziele und Erfolge erreichen kann. Jüngere Schwimmer können die Chance, im Behindertensport groß rauszukommen, die Wuppertal bietet, noch nicht wertschätzen. Ich konnte jedenfalls nicht einfach sausen lassen, was die Sportstiftung für mich getan hat.“

Fabian lebt inzwischen in einer WG zusammen mit anderen Schwimmern. Er ist der Älteste, und wenn er im Kühlschrank abgelaufene Lebensmittel entdeckt, weist er seine Mitbewohner ohne Scheu auch mal zurecht. Die Rolle als Vorbild hat er längst angenommen.

STECKBRIEF FABIAN BRUNE

Para Schwimmer, Jg. 2000, aus Attendorn,
SV Bayer Wuppertal, Startklasse S6 / SB6 / SM6,
Groß- und Außenhandelskaufmann

Erfolge:

2021 5. Platz EM 100 m Rücken
2019 6. Platz WM 4×50 m Mixed-Staffel, Platz 100 m Rücken
2018 2. Platz EM 100 m Rücken, Platz 50 m Schmetterling

Categories: Story Schlagwörter: , , , , | Comments 7479 Seekraft

Alles Murren half nichts. Mama ließ sich auf keine Kompromisse ein. Nur für den Geigenunterricht durfte Alexandra das Haus verlassen. Gerade der wäre verzichtbar gewesen. „Das war das einzige Mal, dass ich Hausarrest hatte“, braust es in ihr auf. Anstatt über Saiten hätte sie viel lieber über den See gestreichelt – zwar weniger zart, aber trotzdem gefühlvoll.

An den Wänden ihres früheren Kinderzimmers pappen verblasste Poster. Der Deutschland-Achter, Wale, ein Roboter. Die Gardinen sind noch dieselben. Der Rollentrainer ist neu. Er wird seinen Platz behalten dürfen. Alexandra renoviert gerade. Beim Gedanken an ihren Fauxpas von damals muss sie schuldbewusst grinsen. Ein Wortgefecht mit Mutter und Schwester hatte sie zur Stubenhockerin degradiert. Mit der Erinnerung erwacht jedoch auch leise Empörung: „Ich durfte vier Wochen vor meiner ersten Ruderergometer-Meisterschaft nicht trainieren.“ So tröstend ihre vielen Erfolge danach waren, dieses Gefühl der unerträglichen, machtlosen Untätigkeit hat die Sportlerin sorgsam konserviert. „Wenn ich mein Training ohne einen triftigen Grund nicht mache, habe ich immer ein schlechtes Gewissen“, sagt die 20-Jährige. Im Wochenplan stehen 13 Einheiten.

Ein Riemen, der Bände spricht

Ruderer sind Getriebene des ewigen Kampfs gegen das Laktat. Besonders viele Muskelgruppen sind einer besonders langanhaltenden Belastung ausgesetzt. Um ihre Körper zu wappnen, absolvieren Ruderer ein extrem hohes Trainingspensum. Während eines Wettkampfes über die olympischen 2.000 Meter quälen sich die Athletinnen gut sieben lange Minuten. „Man reizt seine Grenzen aus – das ist das Anspruchsvolle“, findet Alexandra. Es beeindruckt sie, wenn Athleten konstant Topleistungen abrufen, wie Emma Twigg, die neuseeländische Weltmeisterin und Olympiasiegerin im Einer. Alex ist im Grunde selbst ein gutes Beispiel. In ihrer Wohnung wartet ein knapp drei Meter langer Riemen darauf, seinen Ehrenplatz über der Wohnzimmertür einzunehmen. Alex‘ Medaillen baumeln daran, dicht an dicht, chronologisch sortiert. Es sind 76.

Alexandra hat die wichtigsten Nachwuchspreise im deutschen Sport gewonnen. Mit 17 Jahren wurde sie Junioren-Weltmeisterin und anschließend zur DOSB-Juniorsportlerin des Jahres 2019 gewählt. 2021 gewann sie als frischgebackene U23-Weltmeisterin das Bürgervoting in NRW, das ihr den FELIX Newcomer-Award einbrachte. Sie gehört auch zu den Toptalenten von WestLotto. Fast wäre sie bei den Olympischen Spielen in Tokio gelandet. Eine Coronainfektion verhinderte das.

„Ich hatte Angst vor Öffentlichkeit.“
Fabian Brune, Para schwimmer

„Alex ist der ehrgeizigste Mensch, den ich kenne“, sagt Frederike, die jüngere Schwester. „Schon früher, bei Fahrradtouren mit Papa, hat sie nie zugelassen, dass jemand vor ihr fuhr.“ Die Geschwister haben viele Jahre auf dem Hennesee trainiert. Auf den Rennradrouten im Hochsauerland, im Kraftraum, auf dem eintönigen Ergometer im Bootshaus des Ruderclubs Meschede. Der innere Schweinhund hat viele Niederlagen einstecken müssen. Frederike wurde Vize-Weltmeisterin mit dem Juniorinnen-Achter.

Täglich grüßt das Dreikäsehoch

„Ich halte Alex nicht für ein Ausnahmetalent“, wiegelt Sebastian Kleinsorgen ab. „Diesen Begriff benutzen zu viele. Es sind ihr Engagement und ihr Wille. Alex brachte von Anfang an die Motivation mit, zu arbeiten. Wenn es anfängt, weh zu tun, legt sie los.“ Trainer Kleinsorgen wurde schnell klar, dass er das Mädchen aus der Nachbarschaft wohl so schnell nicht mehr loswerden würde. Auf dem Straßenfest im Sommer 2013 handelte er mit ihr einen Deal aus: Er würde sie am Wochenende auf den Schultern herumtragen. Im Gegenzug sollte das elfeinhalbjährige Dreikäsehoch am Montag zum Rudertraining auf der Matte stehen. „Klar ist sie erstmal gekentert“, erzählt der Trainer. Für Kinder reichen zwei bis drei Einheiten pro Woche. Alex wollte bald jeden Tag.

Sebastian Kleinsorgen, Familienvater mit zwei Töchtern, arbeitet als Vermessungsingenieur bei der Bezirksregierung in Arnsberg. Er war am Bau des Henne-Boulevards beteiligt, der die Mescheder Innenstadt mit dem Stausee verbindet. Er vermaß die Wege, die ihm heute als Zufahrts- und Trainingsstrecken dienen. Den Rudertrainer gibt er ehrenamtlich, zweimal am Tag. Triezen müsse er seinen Schützling schon, betont er: „Zu Hause irgendwas anderes zu machen ist ja auch toll. Wir müssen uns jeden Tag aufraffen, den Cut finden und sagen: Jetzt ist der Spaß zu Ende, jetzt müssen wir wieder ran.“ Der Schweinehund ist gewieft. „An meinen Bürotagen tut Alex spätestens dann etwas, wenn sie weiß, dass ich auch was getan habe. Sonst hätte sie ja ein Minus im Trainingsprotokoll.“ Also spult Kleinsorgen morgens vor Dienstbeginn 30 Kilometer auf dem Rennrad ab, versendet Beweisfotos, Distanz- und Zeitangaben. Sein Equipment hat er im Büro deponiert. Mitgehangen, mitgefangen. „Wenn wir das nicht so machen würden, ginge großes Potenzial verloren“, meint der Trainer. Den Sport macht er gerne mit. Kleinsorgen ist Ergometer-Vizeweltmeister seiner Altersklasse.

Zwei Dickköpfe auf Augenhöhe

Beide sprechen stringent in der Wir-Form. Es ist eine Zusammenarbeit auf Augenhöhe. Auch Frederike hat sie miterlebt. Manchmal, sagt sie, könne man nicht richtig beschreiben, warum etwas gerade nicht funktioniert. Dann sei das enge Verhältnis fürs Gefühl unfassbar wichtig. „Alex kann ein Dickkopf sein“, so die Schwester. „Sie weiß, wann sie recht hat, und beharrt dann darauf. Sebastian aber auch.“ Konflikte vorprogrammiert? „Wir diskutieren und am Ende kommt etwas Besseres dabei heraus“, erklärt Alexandra. „Bei Basti kann ich sagen, was ich denke.“ Der sieht das Vertrauen seiner Athletin pragmatisch: „Ich schaue Alex in die Augen und weiß, was ich ihr am Nachmittag noch zumuten kann.“ Eine Zusammenarbeit auf Augenhöhe.

Langes „Ö“

In der Mescheder Innenstadt, nahe der Ruhr, führt Hermann Föster in vierter Generation ein Elektrofachgeschäft: Interfunk Föster. Mit langen ‚Ö‘, erklärt Alex‘ Vater. Früher seien die Fösters einmal Förster gewesen. Er lächelt gewinnend: „Aber wir Hochsauerländer können kein ‚R‘ aussprechen.“

„Rudern ist hier kein Elitesport – man muss nicht mit dem Porsche am Bootshaus vorfahren. Jugendliche bekommen Zugang“, erklärt der Vater. Dass Alexandras Talent früh von der Sportstiftung NRW gefördert wurde, habe zusätzlich Druck rausgenommen. Der Ruderclub zählt etwa 150 Mitglieder, ein Drittel sind Aktive.

Hermann Föster stieg nach dem Abitur als Lehrling in das Familienunternehmen ein. Dieser Schritt stand damals außer Frage. „Es war eine glückliche Fügung, dass mir die Arbeit auch Spaß gemacht hat“, lächelt er. Seine Töchter sollen selbst bestimmen können, in welche Fußstapfen sie später treten. „Das Erste, was ich mir als Kind wirklich doll gewünscht habe, war ein Lego-Roboter“, sagt seine Älteste. „Technische Sachen liegen mir.“ Alex heimste beste Noten in Mathematik und Physik ein. Beruflich vorstellen kann sie sich vieles. Klar ist, dass noch nichts klar ist.

Frederike widmet sich inzwischen hauptsächlich ihrem Studium in Münster. Alex gefällt die Vorstellung gar nicht, Meschede zu verlassen. Nach ihrem Einser-Abitur schrieb sie sich an der örtlichen Fachhochschule für Elektrotechnik ein. Sport und Studium lassen sich dadurch gut miteinander vereinbaren.

Hausarrest am Hennesees

„Wenn ich den Einer nicht mehr fahren kann, wird es allerdings schwierig, in Meschede zu bleiben“, erklärt sie. Der Bundestrainer besetzt die Boote. Ist eine andere Ruderin im Einer stärker, bliebe Alex eine Kandidatin für den Zweier und den Vierer. In beiden Fällen würde sie mit ihren Partnerinnen am Stützpunkt Berlin trainieren. Dem Vierer werden die größten Medaillenchancen bei Olympischen Spielen eingeräumt.

Um in Meschede bleiben zu können, muss Alex den schnellsten Einer fahren. Doch gilt das auch umgekehrt? Wo endet der Horizont am Hennesee? Welcher Weg führt nach Paris? Wie viel „Hausarrest“ im Sauerland ist gut? Coach und Ruderin sind gleicher Meinung. Kleinsorgen: „Im Vierer ist zwar Wumms dahinter, aber Alex hat das Gefühl, das du brauchst, um einen schnellen Einer zu fahren. Den Einer beherrschen die wenigsten.“

Deutlich unter Tischkante

Alexandra fährt seit ihrem 14. Lebensjahr auf Bundeswettbewerben. 2021 erlebte sie die bisher größte Enttäuschung ihrer jungen Karriere. Im März kam überraschend das Tokio-Ticket in Reichweite, im April handelte sie sich Covid-19 ein. Das volle Programm. Bei der finalen Qualifikations-Regatta im Mai holte sie der Trainingsrückstand ein, nur Platz 6. „Wenn du auf Alex‘ Niveau zwei Wochen nichts machen kannst, musst du das zwei Monate aufholen“, erklärt Kleinsorgen. Trotzdem wurde es ein gutes Jahr. Noch bevor die Olympischen Spiele – ohne sie – eröffnet wurden, feiert Alex ein fulminantes Comeback, holte mit zweieinhalb Bootslängen Vorsprung Gold bei der U23-WM.

Zum Jahresabschluss dann der Erfolg bei der FELIX-Wahl. Eigentlich hatte sie die mit ihr nominierte Skeletoni Hannah Neise vorne erwartet. „Erst Newcomerin und dann Olympiagold – das passt. Das sehe ich bei mir noch weit weg“, gibt sich die Ruderin skeptisch. „Der Preis ist eine Ermutigung, dass man mir Ähnliches zutraut. Vielleicht unterschätze ich mich.“ Auf der Straße habe sie mal ein Postbote erkannt, erzählt sie und grinst. Auch Sebastian Kleinsorgen muss lächeln: „Ihre Erwartungen sind immer deutlich unter der Tischkante. Sie fiel aus allen Wolken, als die Bronzegewinnerin von Tokio, Magdalena Lobnig aus Österreich, im Trainingslager auf uns zukam und Alex mit Namen begrüßte. Wie – die kennt mich?“

„Etwas, was du nicht mit Geld bezahlen kannst“

Vorstellen wird sich Alexandra Föster nicht mehr müssen, wenn sie Paris erreicht. Zur Qualifikation braucht sie eine Top-Ten-Platzierung bei der Weltmeisterschaft 2023. Bei Olympia wünscht sie sich mindestens das B-Finale, in die Top 12. „Das Erreichen dieses Ziels im Einer ist gleichzusetzen mit einer Medaille im Vierer“, analysiert Trainer Kleinsorgen. Den Feinschliff wird sich die Athletin in Meschede holen. Das Boot, mit dem sie sich auf die Reise macht, ruht in einer Halle am Hennesee. Seinen Namen musste sie bei der Olympiaqualifikation in Luzern abknibbeln, weil der Schriftzug auf dem Bug bei hohem Wellengang Nachteile hätte bringen können. Alex hat ihr Boot „It’s my life“ getauft.

Am großen Esstisch von Familie Kleinsorgen ist immer ein Platz für Alexandra reserviert. Die Töchter krabbeln auf ihren Schoß. Alex hatte bei der Renovierung des Hauses mitgeholfen – ein eineinhalbjähriges Projekt neben dem Training. Maria Kleinsorgen rudert ebenfalls. „Sie ist unser größter Sponsor“, sagt ihr Mann. „Ohne ihr Verständnis stünden wir ganz schnell ganz doof da.“ Maria hat das große Ganze verstanden: „Du machst etwas mit, was du am Ende deines Lebens nicht mit Geld bezahlen kannst.“

STECKBRIEF ALEXANDRA FÖSTER

Ruderin (Einer), Jg. 2002, aus Meschede, Ruderclub Meschede,
Studentin der Elektrotechnik

Erfolge:
2021 1. Platz WM U23
2021 1. Platz WM U23 IndoorRowing
2020 2. Platz EM U23Platz Jun.-WM U19 IndoorRowing
2019 1. Platz Jun.-WM U19
2019 3. Platz EM U19
2019 1. Platz Jun.-WM IndoorRowing U19
2018 2. Platz Jun.-WM U19, Doppelvierer

Categories: Story Schlagwörter: , , , , | Comments 7694 Über London nach Paris

Herausforderungen im Studium

„Es ist bildungsmäßig die beste Entscheidung meines Lebens“, sagt Moritz über sein Master-Studium an der London School of Economics and Political Science (LSE): „Du wirst übel hart herausgefordert, bekommst von den Dozenten aber auch die maximale Beachtung. Ich verstehe, warum das eine der besten Unis der Welt ist.“ Die Aufnahmequote liegt bei knapp 6 Prozent, 85 Prozent der Studierenden kommen aus aller Welt, 40 Staatschefs und 19 Nobelpreisträger haben dort studiert, wo Moritz nun den Großteil seiner Zeit verbringt. Das hat seinen Preis: 40.000 Euro bezahlt er für Studium, Miete und Sonstiges.

Tunnelblick: Uni und Sport

Eine Sonderförderung der Sportstiftung NRW, die private Birgit-und-Thomas-Rabe-Stiftung und seine Familie unterstützen ihn. Moritz kann so sein Training neben dem Studium kontinuierlich fortsetzen. „Die ganze Aktion ist für mich ein großer Tunnelblick: Uni und Sport. So eine Chance kriegst du nie wieder“, sagt der Leichlinger. „Da unterrichten dich Leute, die die besten Lehrbücher schreiben und es ist ein Privileg, sich hier austauschen zu dürfen.“ Dafür gibt es eine Anwesenheitspflicht. „Wenn du ein- oder zweimal unentschuldigt fehlst, bist du weg“, erzählt Moritz. Dass er weiter Leistungssport machen kann, ist eher dem Zufall geschuldet „Ich wollte mich auf die Uni konzentrieren und habe immer gesagt: Ich bin glücklich und dankbar für alles, was im Sport möglich ist. Und dann hatte ich sehr viel Glück“, meint der 23-Jährige.

Kurz und knackig

Seine Trainingsgelegenheit fand er über Google Maps an der Central-Line-Haltestelle Mile End. Dort traf er Coach Chris Zah, in Großbritanniens Leichtathletikszene bekannt für 400-Meter-Läufer, die bei Olympia oder den Paralympics gestartet sind. Perfekt! „Hier kommen Siebenjährige aus den Docklands und 65-jährige Rentner. Wir sind eine riesige Gruppe.“ Zah hat Paraplegiker und Spastiker trainiert, kennt sich also aus, was es heißt, dass Moritz eine Hemiparese rechtsseitig hat: „Mit meiner Spastik ist es geiler, morgens nicht zu laufen. Deshalb habe ich um 16 Uhr Einzeltraining – viermal die Woche.“ Zahs Ansatz war ihm neu: „Wir trainieren megaanders. Kern-Essenz der Einheit ist es, kurz richtig zu laufen statt eine Stunde die Konzentration hochzuhalten“, erzählt Moritz.

„So eine Chance kriegst du nie wieder!“
Para Leichtathlet Moritz Raykowski über seinen zweigleisigen Weg: Uni und Sport

Die richtigen Trainingsreize setzen

„Hier ist das Motto: Sei gesund, dann kannst du dich bewegen. Wenn eine Übung wegen der Spastik weh tut, lasse ich sie weg. Ich hatte drei Mal in meinem Leben einen Ermüdungsbruch, aber egal wie frustrierend das ist: Paris 2024 ist das Ziel.“ Moritz‘ Traum von den Paralympics kommt die neue Trainingsmentalität entgegen. „Nach fünf Wochen machen wir eine Woche Pause, dann kommst du frisch wieder. Mir bringt das megaviel.“ Ansonsten sieht der ganzheitliche Ansatz von Zah vor, dass viel geschlafen und auf die Ernährung geachtet werden soll: „Wenn ich eine Klausur habe, gibt es einen anderen Plan. Das Training ist so wettkampfnah, dass ich da nicht zu viel verliere, das ist stark.“

Der Blick nach vorne

Zur deutschen Meisterschaft 2022 wird Moritz nach Regensburg fliegen, um seinen deutschen Rekord über 400 Meter zu unterbieten. Wenn sein Master beendet ist, will er wieder beim TSV Bayer Leverkusen trainieren und in Köln promovieren. Am Max-Planck-Institut für Gesellschaftsforschung gibt es ein Unterinstitut, wo er ab Oktober arbeiten und forschen möchte. Die Zeit in London hat ihm wichtige Erkenntnisse verschafft: „Es ist ein Segen zu wissen: Mit dem Programm, das ich aktuell habe, kann ich mit meiner Spastik mit viermal Training gewisse Dinge erreichen und gesund arbeiten.“

Moritz Raykowski

Para Leichtathlet, Jg. 1999, aus Leverkusen
TSV Bayer 04 Leverkusen, Startklasse T 37

Erfolge:
2018 5. Platz EM 400m
2017 4. Platz Jun.-WM 800m
2016 Jun.-WM 2. Platz 100 m, 3. Platz 800m
2015 Jun.-WM 2. Platz 200m, 3. Platz 100m und 400m

Berufsziel Professor: Moritz Raykowski studiert an der renommierten London School of Economics and Political Science. Foto: Oliver Heuser

Categories: Story Schlagwörter: , , | Comments 7601 Was machen eigentlich Yvonne und Philipp?

Badmintonspielerin & Leichtathlet
Praktikanten bei Evonik in Essen

Yvonne Li hat während ihrer Zeit bei Evonik ihren dritten deutschen Meistertitel im Einzel eingefahren. Kurz zuvor war sie als Teil des deutschen Olympiakaders nach Tokio gereist. „Das war eine fantastische Erfahrung und ich arbeite jetzt schon auf eine Teilnahme im Jahr 2024 hin“, sagt Yvonne.

Parallel zu ihrer sportlichen Karriere studiert sie Wirtschaftsingenieurwesen an der Universität Duisburg-Essen. Zusätzlich arbeitet Yvonne in ihren Turnierpausen bei Evonik. Dies läuft über die Sportstiftung NRW, die es Leistungssportlern ermöglicht, ihren Sport zu verfolgen und gleichzeitig Praxiserfahrung in Unternehmen zu sammeln. So lassen sich Training, Wettkämpfe und weitere berufliche Ziele miteinander verbinden.

Yvonne ist viel zum Zug gekommen

Yvonne nutzte die Möglichkeit, Evonik im Sommer kennenzulernen und absolvierte den ersten Teil ihres mehrwöchigen Praktikums im Brainpool bei Technology & Infrastructure. Der Brainpool ist der Praktikanten-Pool des Technischen Service, der gemeinsam an unterschiedlichen Fragestellungen arbeitet. Yvonnes Team organisierte ein TechTalk-Event zum Thema „Industrie 4.0“.

Beim ersten Kennenlernen ihrer Kollegen war Yvonne aus dem Olympischen Dorf in Tokio zugeschaltet. Der durchgetaktete, enge Zeitplan der Leistungssportlerin macht vorausschauende Planung unerlässlich. Yvonne ist auf die Flexibilität des Unternehmens angewiesen. „Nach meinem Praktikum war ich zum Beispiel drei Monate nonstop auf Turnieren unterwegs“, erzählt die Badmintonspielerin. „Im Brainpool sind sich alle auf Augenhöhe begegnet – das hat mir sehr gut gefallen. Als Praktikantin ist man viel zum Zug gekommen“, sagt sie. Nach den Weltmeisterschaften im Sommer 2022 will Yvonne ihr Praktikum fortsetzen. „Alle waren daran sehr interessiert, haben sich direkt gekümmert und mir eine Kooperation bei meiner Bachelorarbeit in Aussicht gestellt.“

Philipp weiß jetzt, wohin die Reise geht

Philipp Trutenat übernahm im Herbst den Staffelstab von Yvonne. Darin ist der Sprinter vom TV Wattenscheid geübt. Philipp studiert Maschinenbau an der Ruhr-Universität und kam ebenfalls über die Sportstiftung zu seinem Praktikumsplatz im Brainpool. Wie Yvonne arbeitete er tagsüber und trainierte abends mehrere Stunden, während die anderen Praktikanten längst Feierabend hatten. Die kurzen Wege vom Konzern zur Leichtathletikhalle kamen ihm entgegen. Von „anstrengenden dreieinhalb Monaten“, berichtet Philipp, die er aber „spannend und sehr positiv“ bewertet. „Ich kann ein gewisses Stresslevel vielleicht besser abhaben als andere. Im Sport arbeiten wir ständig auf Deadlines hin.“

Mit seinen Resultaten aus der Hallensaison ist Philipp zwar nicht zufrieden. Dafür hat die einkalkulierte Doppelbelastung etwas anderes dauerhaft Wertvolles eingebracht: „Anfangs wusste auch ich nicht, wohin die Reise für mich beruflich geht. Das Praktikum war ein gutes Sprungbrett.“ Auch Philipp hat ein Angebot, seine Bachelorarbeit bei Evonik zu schreiben. Zu den Olympischen Spielen nach Paris will der deutsche Rekordhalter mit der 4×100-Meter-Staffel danach ebenfalls.

„So eine Chance kriegst du nie wieder!“
Para Leichtathlet Moritz Raykowski über seinen zweigleisigen Weg: Uni und Sport

Steckbrief Yvonne Li

Badmintonspielerin (Einzel), Jg. 1998, aus Mülheim an der Ruhr
Studentin Wirtschaftsingenieurwesen

Erfolge:
2021 15. Platz Olympische Spiele
2021 9. Platz WM (Team)
2021 10. Platz EM (Team), 5. Platz (Einzel)
2018–2020 2. Platz EM (Team)
2018–2020 1. Platz DM (Einzel), 2020 (Doppel)

Steckbrief Philipp Trutenat

Leichtathlet (Sprint), Jg. 1996, aus Dinslaken
Student Maschinenbau

Erfolge:
2020 2. Platz DM (Halle), 4×200-m-Staffel
2019 2. Platz DM (Halle), 4×200-m-Staffel
2019 1. Platz EM U23, 4×100-m-Staffel
2018 1. Platz DM, 4×100-m-Staffel

Philipp Trutenat, Sprinter des TV Wattenscheid

Yvonne Li, Badmintonspielerin Categories: Story Schlagwörter: , , , | Comments 7483 Was macht eigentlich Luisa?

Ruderin, Praktikantin bei KPMG

Der Morgen graut am Mittag. Da sie eh schon wach sei, tippt Luisa in den Chat, könnten wir mit dem Interview direkt loslegen. An Amerikas Ostküste ist jetzt Frühstückszeit. Nordrhein-Westfalen ist sechs Stunden, also eine Mahlzeit, voraus. Erst spät, vor dem Zubettgehen, war die Interviewanfrage bei der Studentin eingetroffen. Aber bei Luisa geht es zackig.

„Du siehst Arbeit vor dir, dann nimmst du sie an“, verteidigt die 27-Jährige ihren Workflow. Diese Einstellung habe sie Zuhause vorgelebt bekommen. Weihnachten, Ostern, Erster Mai – im Gastronomiebetrieb der Familie Neerschulte aus dem emsländischen Lingen wurde immer gearbeitet. „Ich kenne meine Eltern nicht auf der Couch sitzend“, erzählt Luisa. Im Alter von zwölf Jahren hilft die Tochter bereits mit, Getränke auszuschenken. „Man musste sich als Kind auch mal Sachen verdienen. Es gab nicht alles geschenkt“, sagt die Ruderin vom ETUF Essen e. V. „Heute bin ich für diese Erziehung dankbar.“

Stipendium für prestigeträchtiges Ruderer

Nach Manhattan braucht Luisa eine knappe Autostunde über den Highway 95. Seit Anfang 2020 lebt sie so dicht am weltberühmten Geschäfts- und Finanzzentrum. Im angrenzenden US-Bundesstaat New Jersey befindet sich die Rutgers University, an der Luisa Betriebswirtschaftslehre studiert. Ein Sportlerstipendium deckt ihre Studienkosten vollständig. Ein US-Coach hatte ihr das Stipendium angeboten, die Bewerbung war dann Formsache. Amerikanische Colleges stehen in einem Rekrutierungswettbewerb um die besten Athletinnen und Athleten weltweit. Rudern ist dort eine der ältesten und prestigeträchtigsten Sportarten. Zum ersten Mal wurde Luisa nach dem Abitur über die sozialen Medien angeschrieben, ob sie sich nicht für ein „Scholarship“ bewerben wolle. Damals winkte sie ab.

„Ergo 1“ im Pumakäfig erkämpft

Als sie mit dem deutschen Team 2019 beim Windermere Cup in Seattle startet, flammt das Interesse neu auf. „Rudern“, erklärt Luisa, „genießt in den USA viel größere Wertschätzung. Alle sind positiv eingestellt und die Athleten feuern sich bei jedem Training gegenseitig an.“ Stipendiatin Luisa ist für den Achter ihrer Uni, die „Scarlet Knights“, startberechtigt und eine Leistungsträgerin. Rund 80 Ruderinnen kämpfen bei den Ergometer-Wettkämpfen dicht aneinandergereiht um die Plätze im Boot. „Im Sportcenter herrscht eine Luft wie im Pumakäfig“, erzählt die Studentin. Nur „Ergo 1“ steht direkt neben dem Ventilator. Es ist Luisas Platz. Sie fährt Workout für Workout die schnellsten Zeiten.

Es falle ihr hier leichter, in beiden Bereichen gut zu sein, erklärt die deutsche Studentin. Leistungssport und Studium seien besser aufeinander abgestimmt, die Dozenten kulanter. Die Noten setzen sich aus mehreren, kleineren Aufgaben zusammen, fast wie in der Schule. Luisas Notenschnitt beträgt 3,96. Im deutschen Zensursystem liegt sie umgerechnet bei 1,05 „Ich stelle hohe Ansprüche an mich“, sagt sie.

Luisa sucht die extreme Erfahrung

Die Coronapolitik der Regierung Donald Trumps zwingt Luisa kurz nach ihrer Ankunft in den USA wieder zur Heimkehr. Das Studium muss sie im Onlinemodus fortsetzen. Den ungeplanten Aufenthalt in Deutschland will sie dennoch optimal nutzen. Für die Semesterferien guckt sich Luisa ein dreimonatiges Praktikum bei KPMG aus. Das Wirtschaftsprüfungsunternehmen ist Partner der Sportstiftung NRW. Über die Zwillingskarriere können Sportler dort während ihrer Karriere Berufserfahrung sammeln. „Wer dieses Angebot nicht annimmt, der ist selber schuld, findet Luisa. „Es ist von der Sportstiftung super organisiert und öffnet Sportlern, die hart arbeiten, jegliche Türen.“

Luisa arbeitet bei KPMG in der Abteilung „Gobal Transfer Pricing“ in Vollzeit. Parallel trainierte sie im Heimatort Lingen und belegte drei Sommerkurse an ihrer Uni: „Das war hart, weil die Kurse nach deutscher Zeit vorwiegend nachts stattfanden. Aber ich wollte diese extreme Erfahrung trotzdem machen. Deshalb habe ich auch bei KPMG immer wieder nach Aufgaben gefragt.“ Das Unternehmen lässt Luisa freie Hand, ihre Trainings- und Arbeitszeiten zu koordinieren.

Höchste Auszeichung für die deutsche Studentin

Durch die Corona-Pandemie wurden 2020 alle Wettkämpfe abgesagt. Die Rutgers University bot Luisa deshalb an, ihre Startberechtigung um ein Jahr zu verlängern. Der Coach musste sie nicht lange bitten. Mit Zugpferd Luisa gelingt dem Uni-Achter die Qualifikation für die US-Meisterschaften, wo das Team einen achtbaren fünften Platz erzielt. Luisa erhält die höchste persönliche Auszeichnung, den „All American – 1st Team“. Zudem ehrt die Universität sie mit dem „CRCA Student-Athlete Award“ für sehr gute sportliche und akademische Leistungen. „Hier war ich tatsächlich die einzige Nichtmuttersprachlerin, die das Glück hatte, diese Auszeichnung zu bekommen“, sagt Luisa.

Mit Master in den Anschlussjob

„Für mich hat es sich gelohnt, immer wieder mal ein bisschen mehr zu machen, als ich musste.“ Im Mai 2022 wird die Ruderin mit ihrem zweiten Masterabschluss nach Nordrhein-Westfalen zurückkehren. Sie hat gezeigt, dass ein Praktikum mit dem Leistungstraining vereinbar ist. Wer das Gegenteil behauptet, erntet ihr Unverständnis. „Das eine Praktikum hilft dir doch, das nächste zu bekommen. Warum sollte mich ein Unternehmen nach dem Studium ohne jegliche Praxiserfahrung von der Straße holen?“, argumentiert sie.

Diese Sorge ist Luisa los. Ihr Praktikum hatte Folgen. Im Herbst tritt Luisa bei KMPG in Düsseldorf eine 60-Prozent-Stelle an. Ein Tag Büro, zwei Tage Homeoffice – daneben bleibt genug Zeit, die sie mit ihrem NRW-Trainerteam am Essener Baldeneysee verbringen kann. Das, betont Luisa, sei übrigens mindestens genauso gut wie in den USA. „Ergo 1“ macht eine Kampfansage in Richtung Olympische Spiele in Paris. Ganz nach dem Motto: Du siehst Arbeit vor dir, dann nimmst du sie mit.

„So eine Chance kriegst du nie wieder!“
Para Leichtathlet Moritz Raykowski über seinen zweigleisigen Weg: Uni und Sport

Steckbrief Luisa Neerschulte

Ruderin (Zweier), Jg. 1994, aus Lingen
Studentin Economics/Labour Management/HR

Erfolge:
2021 1. Platz DM (Großboot) im Doppelzweier, Doppelvierer und Mixed-Achter
2019 6. Platz Weltcup Finale C, (W2-)

Luisa Neerschulte rudert für ETUF Essen und für die Rutgers University in den USA

Categories: Story Schlagwörter: , , | Comments 5835 Was macht eigentlich Irmgard?

Para Leichtathletin Irmgard,
Wirtschaftsprüfungsassistentin bei KPMG Düsseldorf

Null Komma eins. Bei der Para Leichtathletik-WM 2019 reichte Irmgard weniger als ein Wimpernschlag, nämlich eine Zehntel­sekunde Vorsprung, zu Gold über die 100 Meter. In ungleich gigantischeren Dimensionen denkt die Sportlerin, wenn sie an ihrem Schreibtisch sitzt. „Seit drei Jahren arbeite ich an meinem Vorsprung“, erklärt sie. Niemand stoppt diese Zeit. Doch Irmgard weiß insgeheim, dass sie das Ziel bereits erreicht hat.

Mit dem Zeithaben ist das bei Irmgard so eine Sache. Die 30-Jährige hat eine halbe Stelle als Wirtschaftsprüfungsassistentin in der KPMG-Niederlassung Düsseldorf. Den restlichen Tag ist sie Athletin. Das erste Training ist um 8.30 Uhr. KPMG bietet flexible Arbeitszeitmodelle für Leistungssportler*innen.

„Ich hasse es, still zu sitzen“, lacht Irmgard. Ihr Motto: „Je weniger Zeit man hat, desto mehr schafft man. Wenn ich nur eine Stunde für das Training oder einen Auftrag habe, verliere ich keine Zeit mit Quatschen.“ Sie lebt ganz im Moment, im Jetzt. „Effektivität ist doch eigentlich eine sehr deutsche Eigenschaft“, wundert sich die gebürtige Südafrikanerin. „Meine Mutter hat fünf Kinder großgezogen und war Geschäftsführerin. Meiner ganzen Familie fällt es schwer, mal nichts zu tun.“

Als Irmgard 18 Jahre alt war, stürzte sie beim Training über eine Hürde. Dabei durchtrennten sich die Nerven des rechten Fußes. Weil eine Zertifizierung für den Behindertensport in Kapstadt scheiterte, fand sie 2014 auch dank ihrer deutschen Mutter den Weg ins Parasport-Zentrum des TSV Bayer 04 Leverkusen. In Rio lief sie für Deutschland dreimal zu Silber (100, 200 und 400 Meter), in Tokio 2021 kamen zwei weitere Zweite Plätze dazu.

Vorsprung durch Erfahrung

In der Disziplin Duale Karriere trat sie 2018 an. Mit Unterstützung der Sportstiftung NRW konnte sich Irmgard bei der Wirtschaftsprüfungsgesellschaft KPMG vorstellen. „Durch die Beratung der Sportstiftung ist viel mehr herausgekommen, als ich mir erhofft hatte“, sagt sie. Von Teilzeitstellen und einer Sportkarriere neben dem Beruf hatte sie nie gehört. „Ich habe einen Traumjob und kann weiter laufen. Ich kann mich nicht genug dafür bedanken.“

Um den Abschluss als Wirtschaftsprüferin zu erlangen, sammelt Irmgard bei KPMG die erforderlich Praxiserfahrung. Ihr wurden Mandanten am Trainingsort Leverkusen und Umgebung zugeteilt. Sie prüft Konzern- und Jahresabschlüsse. „Man lernt mit Büchern, aber das Leben draußen ist anders, hat sie erkannt. Ich arbeite international und lerne sehr viele große Unternehmen kennen. Das ist enorm wertvoll.“ Die Erfahrung ist Irmgards Vorsprung vor anderen Berufseinsteigern.

Nach den Paralympics in Tokio möchte die Para Sprinterin ihre Arbeitszeit auf 30 Wochenstunden aufstocken, in der direkten Vorbereitung auf Paris 2024 dann wieder reduzieren. Sie plant außerdem, zwei Jahre für KPMG in Südafrika zu arbeiten, um dort ihr Wirtschaftsprüfer-Examen abzulegen. Arbeitsjahre in Deutschland werden dafür nicht angerechnet. „KPMG kommt mir bei allen entgegen.“ Eins Komma null.

„So eine Chance kriegst du nie wieder!“
Para Leichtathlet Moritz Raykowski über seinen zweigleisigen Weg: Uni und Sport

Categories: Story Schlagwörter: , , , , | Comments 5825 Was macht eigentlich Yanna?

Taekwondo-Kämpferin Yanna,
Werkstudentin bei der Kreissparkasse Köln

Schwedische Architekten sind nicht dafür bekannt, dass sie zu niedrige oder instabile Gebäude bauen. Tatsache war jedoch, dass Yanna Schneider in ihrem Hotelzimmer die Decke auf den Kopf fiel. Es musste damit zusammenhängen, dass sie seit geraumer Zeit Löcher hineingestarrt hatte.

„Eigentlich war ich happy, wie positiv es nach meinem Handbruch schon wieder lief“, erzählt Yanna. „Ich war gerade deutsche Meisterin geworden und mit dem Bachelorstudium fertig.“ Das Turnier in Schweden im Februar 2020 war das erste im vermeintlichen Olympiajahr. Ihr standen entscheidende Monate in der Sportblase bevor. Aber ihre Gedanken zogen viel weitere Kreise.

Die Bonnerin trainiert fast täglich morgens und abends. Dafür pendelt sie zum Taekwondo-Leistungsstützpunkt nach Swisttal. Ohne das Studium zog sich der restliche Tag wie Kaugummi.

Ich wurde neidisch auf Leute, die arbeiten gehen und Termine haben“, erzählt Yanna. „Manchmal hätte es mir einfach gutgetan, mich mit anderen Dingen anstatt nur mit dem Training beschäftigen zu können.“

Nach der Rückkehr aus Schweden folgte Yanna dem Rat von Laufbahnberaterin Annika Reese am Olympiastützpunkt NRW/Rheinland und bewarb sich für den Masterstudiengang in Wirtschaftspsychologie. Die Zusage der Hochschule Bonn-Rhein-Sieg traf zeitgleich mit dem ersten Lockdown im März ein. Yanna ahnte nicht, dass sie in diesem Jahr keinen einzigen Wettkampf mehr bestreiten sollte. Corona machte die Sportlerin zu einer normalen Vollzeitstudentin. Ihre Noten kletterten Richtung Einser-Schnitt. Doch im Sommer wurde die vorlesungsfreie Zeit auf die doppelte Dauer gestreckt. Viereinhalb Monate nur Training ohne ein konkretes Ziel – für Yanna eine erneute Herausforderung.

„Am Anfang war es mir unangenehm, wieder bei der Sportstiftung anzuklopfen“, druckst sie. „Das wirkt, als würde man es alleine nicht gebacken kriegen.“

Wieder der richtige Fingerzeig

Direkt nach dem Abitur hatte Yanna eine Duale Karriere gestartet, erst ein Orientierungspraktikum beim TÜV Rheinland absolviert, später ein Praxissemester beim Beratungsunternehmen Advyce eingelegt. Beide Stellen hatte die Sportstiftung NRW vermittelt. Ihr Trainer und ein Anruf räumten Yannas schließlich Zurückhaltung aus.

Yanna bewarb sich für die Semesterferien als Werkstudentin bei der Kreissparkasse Köln. Das Geldinstitut ist Teil der Community Wirtschaft & Leistungssport, einer Gemeinschaft aus Unternehmen, die Spitzenathlet*innen an eine berufliche Karriere heranführen. Yannas Bachelor in Wirtschaftspsychologie lieferte die Vorlage, um konzeptionell auf Augenhöhe mitzuarbeiten, zum Beispiel am Bewerbungsverfahren der Bank. Ihr Fazit: „Ich glaube, ich habe einen guten Job gemacht“. Yanna wird ihr Studium als Stipen­diatin zu Ende bringen können. Sie erhielt ein Deutschlandstipen­dium, das ihre Hochschule vergibt und die Sportstiftung NRW fördert.

„Durch die Kombination Sport mit Studium oder Arbeit bin ich insgesamt leistungsfähiger und fühle mich zufrieden“, sagt sie. Der Fingerzeig der Sportstiftung war auch im dritten Anlauf passend. „Ich konnte immer meine Wünsche anbringen. Mir wurde nie etwas aufgezwungen“, erklärt die Athletin. „Es hieß: Yanna, wenn du unzufrieden bist, dann suchen wir weiter. Es geht um Dich.“ Das Jahr sei am Ende perfekt verlaufen, findet Yanna. Japanische Architekten brauchen sich wohl keine Sorgen um löchrige Wände im Olympischen Dorf machen.

„Ich bin leistungsfähiger durch die Kombination Sport mit Studium oder Arbeit.“
Yanna Schneider, Deutsche Meisterin im Taekwondo

Categories: Story Schlagwörter: , , , , | Comments 5809 Was macht eigentlich Alessio?

Judoka Alessio,
Werkstudent im Architekturbüro HKR+ in Köln

Köln-Ehrenfeld im Kleinformat. Ein modern überdachter Marktplatz. Die Abstraktion eines Gebäudes. Alessio Murrone ist in einer neuen Welt angekommen. In einer, wo feine Skizzen, ausgeklügelte Modelle und explosiver Kampfsport sich verstehen. „Ich merke, dass ich meinen eigenen Weg gehe und immer weniger Zweifel habe“, sagt Alessio. Das Jahr 2020 habe seine Einstellung umgepolt.

Der 21-Jährige studiert seit November Architektur an der Technischen Hochschule Köln. „Als Ausgleich zum Judo habe ich schon immer viel gezeichnet“, sagt er. Viele Erstsemester überstehen die künstlerische Eignungsprüfung der TH nicht. Alessio fiel sie leicht. Wochenlang war er in seinen Projekten versunken, er zeichnete wie im Flow. „Ich habe einfach nicht mehr aufgehört und bin lediglich zwischendurch zum Training gefahren.“ Am Tag der offenen Tür an der TH wurden seine Entwürfe sogar zur Schau gestellt. Alessio führt diesen Achtungserfolg auf sein anderes Spezial­gebiet zurück: „Leistungssportler zeigen von vornherein mehr Biss, wo andere vielleicht eher chillen.“

Das Jahr habe ihn abgehärtet, meint Alessio. Sportlich raubte ihm der Lockdown die Wettkämpfe und zeitweise auch die Trainingsmöglichkeiten: „Es war ein Hin und Her, wann ich in die Halle durfte.“ Als Neuling im Männerbereich in der Gewichtsklasse bis 60 Kilogramm braucht er jede Gelegenheit, um sich den Bundestrainern zu zeigen. Brenzlig wurde es vor dem Studium. Alessio suchte monatelang vergebens nach einer Stelle für das Grundpraktikum, welches jeder Bewerber vorweisen muss. „Das hat mich mental sehr belastet“, räumt der Judoka ein. Ein kleines Puzzleteil fehlte.

Passendes Puzzleteil vor dem drohenden Karrierechaos

„Ich finde es einfach nur wichtig, was die Sportstiftung NRW in diesen Situationen für Athleten leistet“, bekräftigt Alessio. Während der Pandemie wurde die Förderung von Talenten wie ihm ohne Einschränkung aufrechterhalten. Zudem fand die Sportstiftung das passende Gegenstück im drohenden Karrierechaos.

Für Rolf Kursawe und das Architekturbüro HKR+ ist Alessios Duale Karriere ebenfalls ein Gewinn. „Alessio ist pfiffig und talentiert“, freut sich HRK-Partner Kursawe. „Nach zwei Wochen Praktikum haben wir ihm angeboten, als Werkstudent bei uns zu bleiben – so lange, wie er möchte.“

Alessio musste nicht lange überlegen. „Statt eines Arbeitgebers habe ich hier einen Mentor gefunden. Das ist sehr besonders,“ schwärmt Alessio. „Ich bekomme Freiräume für meinen Sport und für mein Studium. Die Chemie stimmt und ich glaube, mein Mentor hat auch Spaß daran, einen jungen Studenten mit zu formen.“

Die Olympischen Spiele 2024 und 2028 hat der Athlet fest im Blick. Judo steckt seine Ziele, im Studium blüht er auf, sein neuer Unterstützer trägt beide Leidenschaften. Für Alessio gibt es keinen besseren Weg als eine Duale Karriere mit der Sportstiftung: „Ich werde durchmarschieren.“

„Leistungssportler haben mehr Biss.“
Alessio Murrone, Judoka und Architekturstudent

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