Über das Coaching-Angebot
Das Hauptziel ist es, Athleten in der Übergangsperiode von der sportlichen zur nachsportlichen Karriere aktiv zu unterstützen und ihnen eine ressourcenorientierte Perspektive für ihr Leben nach dem Leistungssport zu vermitteln. Beim mehrtägigen „Trainingslager fürs Leben 2023“ in der Sportschule Hennef lernen die Teilnehmer Strategien, wie sie ihren neuen Alltag beruflich und privat strukturieren können. Das Selbstbild verändert sich. Neue Glaubensätze ersetzen alte. Es geht darum, den Selbstwert über den sportlichen Erfolg hinaus zu erkennen und sich mit Menschen in ähnlichen Situationen auszutauschen. So urteilen die Coaching-Teilnehmer 2023: „Absolut unbezahlbar“ – „Eine super Truppe“ – „Eine riesige Hilfe für alles, was nach der Sportlerkarriere kommt“.
Hier geht’s zum Coaching-Film 2023.
Übrigens: 2024 setzt die Sportstiftung ihr kostenlosen Coaching-Angebot fort.
Leon Schandl
…hat seinen Abschluss versilbert. Der Deutsche Ruderverband nominierte ihn überraschend für die FISU World University Games in Chengdu im Sommer. Leon hatte seine sportlichen Ambitionen bereits begraben, sagt aber trotzdem zu. Neben ihm nehmen langjährige Weggefährten im Achter Platz. „Ohne den Druck vergangener Jahre war ich unverkrampft“, sagt Leon. Die Unternehmung bekommt Klassenfahrtcharakter. „Jeder im Team wusste aber, wann er den Schalter umlegen muss.“ Die Mannschaft harmoniert und gewinnt Silber.
Danach ist wirklich Schluss. Das Studium vereinnahmt Leon. „Es ist ein neues Gefühl, so schnell voranzukommen“, staunt er. Nebenbei arbeitet er als Werkstudent im Baumanagement. Im Sommer 2024 will er den Masterstudiengang beginnen. Leon hat Orientierung nach der Sportkarriere gefunden. Gerudert wird nur noch, um den Körper abzutrainieren. Statt getakteter Nährstoffaufnahme wird jetzt mit Genuss gegessen.
Leon Schandl: ehemaliger Ruderer, Jg. 1998, aus Dortmund
Maria Tietze
…hat sich in unbekannte Gewässer gewagt. Im Sommer begab sich die ehemalige Para Sprinterin auf Expeditionen in die Arktis und nach Alaska. Sie arbeitete als Englisch Dolmetscherin für Crew und Touristen. „Manchmal war es anstrengender als der Leistungssport“, scherzt sie. Es ist ihr erster Job ohne Spikes und Shorts – und direkt erfolgreich.
Folgeaufträge sind bereits ausgehandelt. Der Para Sport bleibt ihr aber eine Herzenssache. Es mangelt an Angeboten, die Einsteigern Spaß an der Bewegung vermitteln, findet Maria und wird initiativ. In ihrem Heimatort Overath sportelt sie regelmäßig mit einer kleinen Gruppe Jugendlicher mit Behinderung. In Düsseldorf unterstützt sie ein ähnliches Bewegungsprojekt für Kinder. Sie hat Pläne, die Trainerlizenz zu erwerben. „Wer Sport macht, ist oft selbstbewusster. Meine Behinderung gehört zu mir, definiert mich aber nicht als Mensch“, sagt sie. Durch das „Trainingslager fürs Leben“ hat Maria Mut gefasst, ihre Überzeugungen in Taten umzusetzen. „Das Coaching hat vieles in mir geordnet. Es fällt mir dadurch leichter, meine Gedanken mit anderen zu teilen. Ich hätte nicht damit gerechnet, dass es so emotional und intensiv wird. Wir gaben uns das Gefühl, Dinge sagen zu können, die man normalerweise für sich behält.“
Maria hat sich auch vorgenommen, einen Roman zu schreiben. Keine Autobiographie, aber beruhend auf wahren Begebenheiten: ihren Motorradunfall, ihre Odyssee in der Reha und ihr Leben als Leistungssportlerin. Sie glaubt, nun die notwendige emotionale Distanz gefunden zu haben.
Maria Tietze: ehemalige Leichtathletin, Jg. 1989, aus Leverkusen
Benjamin Lenatz
…engagiert sich für die Unterbringung von Obdachlosen und Geflüchteten. Im Mai ist er auf seine Position beim Sozialamt der Stadt Bergisch Gladbach zurückgekehrt. Förderer und Sponsoren hatten ihm in den vergangenen neun Jahren geholfen, seine Arbeitszeit schrittweise zu reduzieren, wohingegen sein Trainingsumfang zusehends wuchs. „Als Leistungssportler bist du auf diese Mittel angewiesen“, sagt der frühere Para Triathlet.
Als sich sein Karriereende wegen einer Leukämieerkrankung abzeichnete, suchte Benjamin verkrampft nach dem optimalen Übergangsszenario, um seine Unterstützer nicht zu überrumpeln. „Mit der Haltung habe ich mir selbst Steine in den Weg gelegt.“ Das Coaching mit der kleinen Alumni-Gruppe löste die Blockade. „Ich habe danach mehr auf mein Herz gehört“, sagt Benjamin. Zweifel wich Zuversicht. Im Job bekommt er Lob. Man schätzt seine Fähigkeit, alle an einem Strang ziehen zu lassen. Ihm wird eine Führungsposition angeboten, aber er verzichtet. Trotzdem ein Boost fürs Selbstvertrauen.
Benjamin will einen Neuanfang schaffen, der auf Vergangenem aufbaut. Er investiert viel Energie in die Konzeption einer Tätigkeit als Speaker. Und Benjamin bleibt sportlich. Seit Dezember wirft er wieder Körbe in der Rollstuhlbasketball Bundesliga. Die Skywheelers aus Frankfurt hatten eifrig um ein Comeback nach 14 Jahren geworben. Seine neue Rolle als Ergänzungsspieler und Mentor für Talente erfüllt Benjamin: „Körper und Kopf tut das sehr gut.“
Benjamin Lenatz: ehemaliger Para-Triathlet, Jg. 1984, aus Hückeswagen
Mareike Arndt
…räumt professionell auf. Die frühere Siebenkämpferin hat sich als zertifizierter Ordnungscoach selbstständig gemacht. Nun unterstützt sie zum Beispiel Familien dabei, die Haushaltführung zu strukturieren und nachhaltiger zu konsumieren. Beim Coaching in der Sportschule Hennef wurde ihr klar, dass sie eigentlich nur Ausreden daran hinderten, diesen Schritt zu gehen: „Man weiß zwar, was man machen möchte, aber der letzte Kick fehlt. Ich glaube, ich wäre alleine nicht weitergekommen.“ Die größte Herausforderung sieht sie darin, von ihrer antrainierten Erwartungshaltung abzukommen. „Nicht alles, was ich tue, muss Höchstleistung sein“, predige sie sich oft. Dass im Job manchmal das Feedback ausbleibt, sei auch gewöhnungsbedürftig.
Der Leichtathletik ist Mareike treu geblieben. Sie besitzt jetzt die B-Trainerlizenz und trainiert beim TSV Bayer Leverkusen paralympische Athletinnen und Athleten. Von ihren Erfahrungen sollen Jüngere profitieren. Insbesondere legt Mareike Wert auf mentale Gesundheit: „Bei mir hatte sich vieles angestaut, was ich erst am Karriereende aufarbeiten konnte.“ Deshalb rät sie, auch mit Gefühlen aufzuräumen, anstatt sie abzuhaken und einfach weiterzumachen.
Mareike Arndt: ehemalige Siebenkämpferin, Jg. 1992, aus Leverkusen
Katharina Müller
…hat sich in Südtirol niedergelassen und unterrichtet Eiskunstlauf an der Young Goose Academy. Die international ausgerichtete Schule nahe Bozen bietet ihr die Chance, parallel die Nachwuchstalente des Eissport Verbandes NRW zu betreuen. Katharina ist Ansprechpartnerin bei Förderangelegenheiten. Um Wettkämpfe zu organisieren, kommt sie regelmäßig ins heimische Westfalen.
Dass sie nach dem Ende ihrer Leistungssportkarriere beruflich in demselben Metier geblieben ist, war eine Gefühlsentscheidung, betont sie. Denn ihre rational durchdachten Pläne hätten sich in der Vergangenheit oft zerschlagen. „Beim Coaching haben wir gelernt, in uns hineinzuhören. Alle hatten Angst vor einer Identitätskrise.“ Das ständige Reisen und Fernsein von der Familie hatte Katharina früher zugesetzt. In neuer Rolle fühlt sie sich jedoch „emotional stabil und gereift“, bereit, als Trainerin Verantwortung für andere zu übernehmen. „Das gehört doch zum Erwachsenwerden“, sagt sie. „Mich reizt die Aussicht, Athleten zu den Olympischen Winterspielen in Mailand Cortina d‘Ampezzo zu begleiten. Ich lerne viel von erfahrenen Trainern und versuche zu erfassen, was sich in den Köpfen meiner Athleten abspielt, um sie auch auf psychologischer Ebene optimal zu coachen. Ich knüpfe unmittelbar an meine Erfahrungen beim Trainingslager fürs Leben an.“ Katharinas Vergangenheit und Zukunft liegen auf Eis. Für ihr Studium soll dies nicht mehr gelten. Sie möchte den Abschluss in Sportmanagement per Fernstudium nachholen, bevor die Familienplanung konkret wird. Letztere wird sicherlich wieder eine Gefühlsentscheidung.
Katharina Müller: ehemalige Eiskunstläuferin, Jg. 1995, aus Gütersloh
Jenny Karolius
…beansprucht selbst beim Discofox die Führungsrolle. Bei einer Feier beschwerte sich ihr Tanzpartner. Zu Recht, gesteht Jenny. Es ist das bekannte Problem: Es fällt ihr schwer, Verantwortung und Aufgaben abzugeben. Auch trifft sie nicht gern Entscheidungen. Die Angst, falsch zu entscheiden, oder auch mal einfach Nein zu sagen, ist groß. Deshalb schiebt Jenny ständig etwas auf. Folglich arbeitet „Flummi“ chronisch über ihrer Belastungsgrenze, immer mit der gleichen Leidenschaft wie früher bei der Handball-Nationalmannschaft, immer da, wo gerade der Ball ist. Ein Hörsturz im Sommerurlaub war ein letztes Alarmsignal, etwas an ihrer Situation zu verändern.
Jenny ist in einer Ergotherapiepraxis und als Nachwuchstrainerin bei ihrem Stammverein TSV Bayer Leverkusen beschäftigt. Ihr Dilemma: „Ich liebe beide Jobs“, trotz mancher Querelen. Nach Saisonende geht es zum HSV Solingen-Gräfrath. „Ein Knoten im Kopf ist damit gelöst“, freut sie sich. „Ich lerne gerade, mir bei meinen Entscheidungen mehr zu vertrauen.“ Die Coachingtage mit der Sportstiftung waren ein „Tritt in den Hintern“. Sie erklärt: „In meinem Werteprofil steht Familie eigentlich an erster Stelle.“ Gut möglich, dass es sie im übernächsten Sommer beruflich daher weiter weg verschlägt. Ihre Eltern wohnen in Thüringen. Adieu, Rheinland, nach 10 Jahren? „Ich freunde mich mit dem Gedanken an,“ sagt sie lächelnd.
Jenny Karolius, ehemalige Handballspielerin, Jg. 1986, aus Leverkusen
Miryam Roper-Yearwood
…graute es vor Meditation. Die anfangs unliebsame Übung beim „Trainingslager fürs Leben“ stieß schließlich jedoch einen Prozess der Selbstreflexion an. Und siehe da: „Mittlerweile meditiere ich ziemlich viel“, sagt sie. „Jeden Morgen suche ich den Dialog mit mir selbst, meine innere Mitte.“ Das hilft ihr, die Athletin Miryam loszulassen und sich mit ihrer neuen Identität anzufreunden.
Miryam arbeitet als Athletiktrainerin mit Nachwuchskadern des Judoverbandes und sie hat eine Ausbildung zum Atemcoach absolviert. Gemeinsam mit Judoka Martyna Trajdos führt sie im Sommer ihr erstes Performance Camp durch, um ihr Know-how und ihre Erfahrungen aus ihren nicht immer gradlinig verlaufenden Sportkarrieren mit der nächsten Generation zu teilen. Miryam erklärt: „Leistung kann nur nachhaltig erreicht werden, wenn man die Athletinnen und Athleten und ihre Bedürfnisse ganzheitlich und individuell betrachtet.“ Es sind vermeintliche Kleinigkeiten, wie gute Schlafqualität oder handyfreie Zeit, auf die sie bei der Ausbildung anderer Trainerinnen und Trainer Wert legt. „Man muss es allerdings auch vorleben,“ sagt sie. „Ich bin da perfektionistisch und wie der Kölner Dom: niemals fertig.“
Miryam Roper-Yearwood, ehemalige Judoka, Jg. 1982, aus Köln