„Sie sind auf der Suche, sortieren Dinge neu und fragen sich: Was ist im Leben noch wichtig? Das ist bei den Leistungssportlerinnen und -sportlern genau wie bei uns Normalos“, erklärt Katrin Sattler. Die Bedürfnisse der Athlet*innen haben sich im Jahr 2020 verändert, so die Laufbahnberaterin am OSP NRW/Rhein-Ruhr. „Mit vielen ist der Austausch enger geworden.
Rolle rückwärts beim Urlaubssemester
Nach der pandemiebedingten Absage zahlreicher Wettkämpfe wollten viele Athlet*innen, die ein Urlaubssemester eingelegt hatten, doch ihr Studium oder ihre Ausbildung wieder aufnehmen. „Sie haben sich flexible Lösungen gewünscht“, berichtet Sattler. „Da war dann konkret die Frage: Können wir das Urlaubssemester rückgängig machen?
„Die Verunsicherung war groß, aber in der Realität war das gar kein Problem.“ Sattler sieht auch Vorteile: „Einigen hat der Freiraum durch die Olympiaverschiebung gutgetan, um zum Beispiel die Bachelorarbeit doch noch fertig zu bekommen.“ Und: „Von der Flexibilität und dem Digitalisierungsprozess, der in den Unis angeschoben wurde, werden wir auch in Zukunft profitieren. Jetzt werden mit einer größeren Selbstverständlichkeit Dinge hochgeladen, was sich positiv auf die Athletinnen und Athleten auswirkt. Während einige das Präsenzstudium und den menschlichen Kontakt vermissen, sagen andere: Das ist super, weil ich so quasi ein Fernstudium machen kann.“
Ratschläge auch samstagabends
Was Sattler schildert, konnte auch Elmar Stumpe in der Laufbahnberatung am OSP NRW/Westfalen feststellen: „Gerade bei den Athletinnen und Athleten aus der zweiten Reihe, die es vielleicht nicht zu Olympia schaffen, hatte die Beratung eine höhere Priorität – verbunden mit der Frage: Wenn alles ausfällt, soll ich nicht vielleicht doch studieren gehen?
Dass sie mich nicht im Büro besuchen konnten, hat auch dafür gesorgt, dass ich am Samstagabend um 23.30 Uhr oder am Sonntag mal Nachricht oder Mails bekommen habe, die ich dann beantworte. Das wird vielleicht in Zukunft häufiger vorkommen, weil sie sehen: In 80 Prozent der Fälle kann uns der Laufbahnberater helfen, in den anderen fragt er zumindest Kolleginnen oder Kollegen, die sich auskennen und hängt sich für uns rein.
„Wichtig ist es, beim ersten Gespräch eine Vertrauensbasis zu schaffen“, betont Horst Schlüter, Laufbahnberater am OSP NRW/Rheinland in Köln. Eine Herausforderung in Corona-Zeiten. „Das klappt am Telefon nicht so schnell wie von Angesicht zu Angesicht. Insgesamt ist das Kennenlernen pandemiebedingt ein bisschen unpersönlicher, aber es gelingt nicht weniger gut“, sagt der ehemalige Fußballer Schlüter. Der übliche Rundgang durch den OSP fällt aktuell jedoch weg.
Hemmungen am Telefon
„Wenn ich im Sportinternat, in der Halle oder im Stadion vorbeigeschaut habe, kam aber immer jemand zur mir und wollte noch dies und das“, führt Stumpe aus. Das hat auch Schlüter erkannt: „Telefonisch ist immer eine größere Hemmschwelle da. Vor Ort höre ich oft: Ich wollte ja mal anrufen, aber jetzt wo du da bist, kann ich ja direkt fragen.“ Dass ein Alltag momentan nur eingeschränkt vorhanden sei, zeige sich generell in der Beratung, ergänzt Katrin Sattler. Viele Athlet*innen hätten sich länger nicht gemeldet, nun aber gefragt, welche Leistungen sie noch in Anspruch nehmen könnten – beispielsweise Sportpsychologie-Workshops.
„Oft wissen die Sportlerinnen und Sportler nicht, welche Leistungen ihnen am Olympiastützpunkt offenstehen.“ Das stellt Horst Schlüter fest. „Ich erkläre ihnen dann etwas über Leistungsdiagnostik, psychologische, medizinische oder Ernährungsberatung und weise sie darauf hin, was sie machen können, wenn sie einen Bundeskaderanspruch haben.“ Laufbahnberater betreuen Athlet*innen oft von der Schulzeit bis nach dem Karriereende.
60-Stunden-Woche, aber keine Extrawürste
Schlüter sind 2020 vor allem Kleinigkeiten nachhaltig im Kopf geblieben: „Es gab ja für viele keine Trainingsmöglichkeiten. Der Vater einer Kletterin hat deshalb Klettersteine an die Garage gebaut. Andere haben Hanteln abgeholt und Kraftübungen auf dem Balkon gemacht oder die Eishockeyspieler der Kölner Haie haben Yoga- oder Boxtraining als Videokonferenz angefragt und wir haben den Kontakt hergestellt.“
Ex-Handballer Stumpe lobt den Austausch zwischen den Laufbahnberater*innen in NRW bei regelmäßigen Videokonferenzen: „Unsere Arbeit mit den Athletinnen und Athleten macht ja nur knapp 50 Prozent aus. Sonst schauen wir, wie die Strukturen in den Schulen, Sportinternaten oder Unis verbessert werden können.“ Denn eines ist Schlüter besonders wichtig: „Athleten haben oft pro Woche 25 bis 30 Stunden Schule oder Studium und 25 bis 30 Stunden Sport. Wir müssen Netzwerkpartner überzeugen, dass ein Trainingslager nicht bedeutet, faul in der Sonne zu legen. Kein Athlet möchte eine Extrawurst. Sie arbeiten Fehlzeiten nach und wollen einfach gleichgestellt sein.“
Das kann Laufbahnberatung:
Laufbahnberater*innen an den drei Olympiastützpunkten in NRW beraten und begleiten Athlet*innen bei der Verknüpfung der schulischen bzw. beruflichen Ausbildung mit der leistungssportlichen Karriere. Ziel der individuellen und ganzheitlichen Beratung ist es, ihnen bestmögliche Entwicklungschancen in sportlicher, schulischer und beruflicher Hinsicht zu geben. Dazu stellen Laufbahnberater*innen den Athlet*innen ein Netzwerk an Angeboten zur Verfügung.
Hierzu gehören auch die Förderoptionen und die Zwillingskarriere der Sportstiftung NRW. Laufbahnberater*innen unterstützen bei der Unterbringung in einem Sportinternat, der Wahl von Schule (NRW-Sportschulen, Eliteschulen des Sports) und Studiengang bis zum Einstieg ins Berufsleben. Sie bahnen Kontakte zu Sportstiftungen, Sportfördergruppen der Bundeswehr und Ausbildungsstellen der Landes- und Bundespolizei an.
OSP NRW/Rheinland, Horst Schlüter, schlueter@osp-rheinland.de und Annika Reese, reese@osp-rheinland.de
OSP NRW/Rhein-Ruhr, Katrin Sattler, sattler@olympiastuetzpunkt.de
OSP NRW/Westfalen, Elmar Stumpe, stumpe@bochum.de, Sonja Schöber, sonja.schoeber@osp-westfalen.de und Ulrich Vetter, u.vetter@osp-waf.de
Der Wirkungsbericht 2020 ist als Jubiläumsausgabe erschienen. Auf 80 Seiten zieht die Sportstiftung NRW Bilanz des zurückliegenden Förderjahres und blickt ausführlich auf ihre Geschichte seit der Gründung am 21.12.2000 zurück.
Der Report im modernisierten Corporate Design stellt aktuelle Projekte und neue Förderschwerpunkte vor. Über 500 Athlet*innen wurden im Jahr 2020 gefördert. Das Zeitdokument hält fest wie das Zusammenspiel mit der Community „Wirtschaft & Leistungssport“ funktioniert und wie dadurch einst das Modell „Zwillingskarriere“ zum Leben erweckt wurde. Bis heute prägen innovative Ideen den Charakter der Sportstiftung. Jüngstes Beispiel ist das Trainee- und Coaching-Programm, das direkt an die sportliche Karriere anknüpft und im Herbst 2021 Premiere hat.
Der Coronapandemie zum Trotz: Mit ihrer Fördergarantie in 2020 hat die Sportstiftung hunderte Talente abgesichert. Auch die Zwillingskarriere erwies sich in unruhigen Zeiten als krisenfest. Olympia-Kandidat*innen fanden über außergewöhnliche Förderwege zu ihrem Ziel und die Zahl der Spitzensport-Stipendien verdoppelte sich. Im paralympischen Leistungssport hat NRW Maßstäbe bei der Klassifizierung gesetzt.
NRW-Ministerpräsident Armin Laschet: „Die Förderung des Leistungssportnachwuchses bleibt 20 Jahre nach der Gründung durch die Landesregierung das zentrale Element dieser einzigartigen Institution. So haben wir Ausbildung, Beruf und Leistungssport zu einer harmonischen Einheit zusammengeführt. Die Früchte dieses Konzepts können die Sportlerinnen und Sportler selbst in diesen schwierigen Zeiten ernten. „Danken möchte ich insbesondere den zahlreichen Weggefährten und Partnern der Sportstiftung NRW, die ihr Wirken über zwei Jahrzehnte hinweg positiv geprägt haben.“
Erstmals wird im Bericht zudem veranschaulicht wie die Förderbausteine von Deutscher Sporthilfe und Sportstiftung NRW ineinander greifen. Wie schon in der Erstausgabe 2019 runden viele eindringliche Geschichten über Athlet*innen aus NRW den Jahresbericht ab.
„Die allerwenigsten Menschen ahnen, welchen Aufwand Athletinnen und Athleten tagtäglich über Jahre betreiben. Sie verlangen sich körperliche und mentale Höchstleistungen ab, um an die Spitze zu gelangen. Nur wer genau hinschaut und nachfragt, erfährt, was diese Menschen antreibt und was sie beschäftigt“, resümiert Ute Schäfer. Sie begleitete die Sportstiftung bis Mai 2021 fünf Jahre als Vorstandsvorsitzende. Mit dem Wirkungsbericht 2020 verabschieden sich Ute Schäfer sowie der langjährige Geschäftsführer Jürgen Brüggemann.
Highlights:
20 Jahre Sportstiftung NRW – 22 Seiten mit umfassender Chronik und persönlichen Rückblicken von Zeitzeugen
Deutsche Sporthilfe & Sportstiftung NRW – alle Förderbausteine in einem Schaubild
Studium & Leistungssport – 120 geförderte Stipendiat*innen, davon jede*r Dritte mit einem Wirtschaftspartner
Sonderprojekte – Ringen, Fechten Schießsport: außergewöhnliche Hilfe für außerordentliche Situationen
Bilanz – Zahl geförderter Athlet*innen seit 2017 um fast 400 Prozent gewachsen