3065 18 Stunden powern bis Corona

Ronja, 23, hütet das Tor der Wasserball-Nationalmannschaft und spielt in der Bundesliga für den SV Bayer Uerdingen. Sie ist Master-Studentin an der Universität Duisburg-Essen und arbeitet als Werkstudentin bei einem Pharmaunternehmen in Neuss.

Ronjas Tagesablauf – normalerweise und während Corona:

5:35 Uhr – Der Wecker klingelt nach durchschnittlich 6 Stunden Schlaf. Fünf Minuten im Schlummermodus sind drin, bevor der zweite Wecker klingelt.

6:15 Uhr Coronazeit – Der Wecker klingelt nach gut 8 Stunden Schlaf trotzdem noch früh, um im Rhythmus zu bleiben. Erster Gang ins Bad. Normale, Webcam-taugliche Klamotten anziehen.
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5:40 Uhr – Der erster Gang führt in die Küche. Frühstück vorbereiten. Es gibt Müsli aus Obst und Haferflocken. Gegessen wird erst nach dem Frühtraining, damit nichts im Magen liegt.
5:50 Uhr – Ins Bad. Zähneputzen, in den Badeanzug schlüpfen, Jogginganzug drüberziehen. Dabei Muskelkater und schwere Beine ignorieren.
6:00 Uhr – Beladen mit Arbeitsklamotten, Laptop und Sporttasche ins Auto steigen.
6:15 Uhr – Ankunft im Aquadome Krefeld. Ins „ziemlich kalte“ Wasser springen und spätestens jetzt wach sein. Diese Prozedur dreimal wöchentlich wiederholen.

6:45 Uhr Coronazeit – Arbeitsbeginn im Homeoffice. „Mein Arbeitgeber war gut vorbereitet und die Mitarbeiter geübt in den digitalen Kommunikations-Tools. In einem Pharmaunternehmen bekommt man viel mit von der Entwicklung von Impfstoffen.“
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Bis 7:15 Uhr – Individuelles Schwimm- und Schusstechniktraining für Torfrauen. Nicht deprimiert sein, wenn um diese Uhrzeit mal etwas nicht klappt. Die psychische Höchstleitungsfähigkeit wird erst im Laufe des Tages erreicht, sagt der Trainer.
7:15 Uhr – Duschen und umziehen fürs Büro. Keine Zeit zum Föhnen, kein Make-up, da abends wieder Wassertraining.
7:30 Uhr – Abfahrt zum Arbeitsplatz in Neuss. 45 Minuten durch die rush hour auf der A57. Ohne Auto dauert es dreimal so lange.
8:15 Uhr – Vom Parkplatz zum Kaffeeautomaten laufen, einen Latte Macchiato ziehen und je nach Intensität des Muskelkaters ins Büro im dritten Stock laufen oder fahren.
8:20 Uhr – PC an, E-Mails und Termine checken, nebenbei Müsli und Kaffee frühstücken. Meeting vorbereiten.

8:45 Uhr Coronazeit – Der „Kaffee-Call“, Videokonferenz mit den Kollegen. Dazu Müsli und Tee zum Frühstück. „Seit Corona habe ich kein Bedürfnis mehr nach Kaffee als Wachmacher.“
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9:00 Uhr – Zum Meeting. Heute: Studien für die Marktzulassung von Medikamenten mit dem Team besprechen und Dossier-Arbeit erledigten.
10:30 Uhr – Zurück im Büro. Meeting nachbereiten.
11:30 Uhr – Mittagspause mit Kollegen in der Kantine. Danach Salat und Obst einpacken, um bis zum Abendtraining durchzuhalten.
12:00 bis 17:30 Uhr – Arbeiten im Büro. Müdigkeitstief überwinden.

16:00 Uhr Coronazeit – Laptop zu, Feierabend. Das Arbeitsaufkommen ist gleich geblieben.
16:30 Uhr – Joggingrunde zum gesperrten Aquadome Krefeld (8-10 km). Auspowern mit Sprints zwischendurch.
17:30 Uhr – Anschließend Zuhause: viel Bauchmuskeltraining, Squads, Schultern-Stretching, Yoga – jede Mitspielerin trainiert erstmal in Eigenregie. „Wir wollen nicht wie Steine ins Wasser fallen, wenn die Saison irgendwann weitergeht.“ Problem: Das Wassergefühl geht schnell verloren. „Wasserwiderstand lässt sich nicht simulieren. Einen Privatpool besitzt niemand von uns.“
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17:30 Uhr – Abfahrt zum Krafttraining nach Krefeld oder als Ausgleich einmal pro Woche zum Yoga vom Betriebssport.

18:00 Uhr Coronazeit – Duschen, Abendessen zu zweit.
18:30 Uhr – Lernen fürs Fach Gesundheitsökonomie. Der Klausurtermin an der Uni wurde verschoben, ein neuer ist noch offen.
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18:30 Uhr – Vor dem Zirkeltraining Beine und Gelenke nach dem Bürotag gut aufwärmen. Dann Kniebeugen und Ausfallschritte mit der Langhantel.
19:20 Uhr – Fliegender Wechsel ins Wasser. Spieltaktiken üben: Über- und Unterzahl, Konterschwimmen, Torwarttraining mit Gewichtgürtel (2 kg) und extra schweren Bällen.

19:30 Uhr Coronazeit – Couch- und Lesezeit. Aktuelle Lektüre: „Irren ist nützlich“ über die Vorteile einer mentalen Fehlerkultur.
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21:00 Uhr – Ausschwimmen, unter der Dusche dehnen und mit Mitspielerinnen quatschen.
21:30 Uhr – Ankunft zu Hause. Nasse Klamotten aufhängen und Taschen für den nächsten Tag packen – „das ist nervig!“. Abendbrot machen.
21:40 Uhr – Dem Freund auf dem Sofa hallo sagen. Nach dem Essen an der Hausarbeit fürs Studium in Medizin-Management tüfteln.

ca. 22:15 Uhr Coronazeit – Gute Nacht! Der Tag endet nach 16 Stunden.
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22:30 Uhr – Freizeit. Waschen und Lernen wird aufs Wochenende verschoben.
ca. 23:30 Uhr – Gute Nacht! Ronjas Tag endet nach 18 Stunden. Morgen auf ein Neues

Update:

Ronjas Auftritt beim Captains Day der Sportstiftung

Im September kommt die Belastung geballt zurück. Die unterbrochene Saison soll fortgesetzt werden und im Job steigt die Werkstudentin zur Vollzeitkraft auf. Ronjas Tage werden voller als zuvor. Sie sagt: „Ich packe das!“

Der Wecker klingt wieder um kurz nach halb sechs. Vor der Arbeit fährt Ronja zum Frühtraining. Die Mannschaft muss wieder in Form kommen. „Die aktuellen Defizite im Zusammenspiel und im taktischen Bereich waren unvermeidbar“, erklärt Ronja. Nach dem Lockdown durften die Spielerinnen zunächst vereinzelt das Schwimmtraining wiederaufnehmen. Im Juli bekam jede einen Ball, Passspiel oder Würfe auf den Kasten von Torfrau Ronja blieben aber verboten. „Wir mussten unsere Bälle sogar vor dem Training im Wasser desinfizieren.“

Ob und wie lange Ronja tatsächlich spielt, ist aus einem weiteren Grund unsicher. Die deutsche Nationaltorhüterin hat starke Konkurrenz bekommen. Brasiliens Top-Torfrau, Victoria Chamorro, ist von Berlin nach NRW umgezogen, hat beim SV Bayer angeheuert und beansprucht Spielzeit. „Ich nehme das als Ansporn, im Training noch mehr Gas zu geben und will die Chance ergreifen, von ihr zu lernen“, gibt sich Ronja kämpferisch.

Aufstieg zu Vollzeit

Richtig reingehauen hat die 23-Jährige während der Corona-Pause als Werkstudentin in ihrem Pharmaunternehmen. Dort stieg sie 2019 mit einem Praktikum ein, zu dem ihr die Sportstiftung NRW die Tür öffnete. Ab September wird Ronja unbefristet und in Vollzeit übernommen. Ihr Studium liegt in den letzten Zügen. „Durch das Deutschlandstipendium der Sportstiftung NRW hatte ich trotz Corona finanzielle Sicherheit für meine berufliche Ausbildung.“ Die Masterarbeit wird sie sich ab Oktober vornehmen, berufsbegleitend bei ihrem Arbeitgeber. Dann starten auch die Play-offs in der Wasserball-Bundesliga.

„Durch Corona hatte ich in den vergangenen Monaten zwar mehr Zeit vom Tag, habe viel geschafft und konnte gefühlt auch einmal durchatmen“, resümiert die Athletin. „Ich packe aber auch Leistungssport und Beruf, weil ich mir sicher bin, dass mit der richtigen Planung Synergien entstehen, von denen ich und mein berufliches sowie sportliches Umfeld profitieren können.“

Wasserballtorhüterin Ronja Kerßenboom wehrt Wurf ab Categories: Story | Comments 1292 Fördergarantie bis Ende 2020

Die Sportstiftung NRW garantiert eine Absicherung für rund 400 Sportler, die durch den Ausfall des Trainingsbetriebes oder von Wettkämpfen nicht in der Lage waren und sind, ihren Leistungsnachweis zu erbringen. Die pauschale Verlängerung aller Förderzusagen, die im Laufe des Jahres ausgelaufen wären, entspricht einem zusätzlichen Fördervolumen von ca. 120.000 Euro.

„Wir sichern unseren Athletinnen und Athleten mit dieser Maßnahme eine nachhaltige Perspektive“, sagt Vorstandsvorsitzende Ute Schäfer. „Die Sportstiftung NRW bleibt auch in schwierigen Zeiten ein verlässlicher Partner.“

Drop-out von Talenten verhindern

Wegen der Coronakrise können viele Sportler*innne ihre Nebenjobs und Werkstudentenstellen nicht mehr ausüben. Unterstützungen fallen weg, Fördergelder werden nicht mehr ausgezahlt. Den Athleten fehlt dadurch die Grundlage, um ihren Lebensunterhalt zu finanzieren. Die Förderzusage der Sportstiftung soll ein der Pandemie geschuldetes „Drop-out“ verhindern. „Wir wollen dem Leistungssportstandort Nordrhein-Westfalen alle Talente erhalten“, betont Ute Schäfer. Es solle weiterhin kein Zweifel an der Vereinbarkeit von Leistungssport mit Schule, Ausbildung oder Beruf bestehen.

Gegenseitige Solidarität

„Unsere NRW-Talente sind unverschuldet in eine kritische Situation geraten, deren Ende noch nicht abzusehen ist“, sagt Ute Schäfer. „Sie verhalten sich in der Krise vorbildlich und solidarisch mit allen Bürgerinnen und Bürgern, indem sie auf die Ausübung ihrer Lebensgrundlage verzichten. Dies ist unabdingbar, um die Ausbreitung des Coronavirus zu verlangsamen. Die Sportstiftung sieht sich in der Pflicht, diese Athletinnen und Athleten ebenso solidarisch aufzufangen.“

Athleten in einer außerordentlich dramatischen Notlage, können sich an die Geschäftsstelle der Sportstiftung NRW wenden. Flexible Sonderhilfsmaßnahmen sind möglich und werden im Einzelfall geprüft.

120.000 € in sechs Monaten

Aktuell fördert die Sportstiftung NRW rund 400 Athlet*innen aus olympischen und paralympischen Sportarten. Die pauschale Verlängerung aller in der zweiten Jahreshälfte auslaufenden Förderungen entspricht einem Volumen von 120.000 € für die Zeit vom 1. Juli bis zum 31. Dezember 2020. Eine Ausweitung der Förderzusagen bis zu den Olympischen und Paralympischen Spielen in Tokio 2021 ist möglich. Neue Anträge auf Individualförderung von bisher noch nicht geförderten Athleten können nach wie vor eingereicht werden. Der gesamte Umfang der Individualförderung beträgt etwa eine Million Euro pro Jahr.

Prämie für NRW-Starter bleibt bestehen

Die ausgelobte Prämie für die Teilnahme an den Olympischen oder Paralympischen Spielen in Tokio 2021 wird in voller Höhe von 3.500 € pro Athlet*in nach den Wettkämpfen ausgezahlt.

Categories: News | Comments 1347 Feuer in der Werkstatt

Lisa ist nicht oft stolz auf sich. Im Frühjahr 2020 ist einer dieser Momente. Noch ganz frisch fühlt es sich an, befreiend. Sie wirkt selbstsicher. Lisa hat geschafft, was vorher niemandem ihrer meist männlichen Vorgänger gelang – von ihrem Olympiasieg abgesehen. Sie hat den Technikteil ihrer theoretischen Meisterprüfung an der Handwerkskammer Dortmund mit der bisher nie erreichten Bestnote abgelegt. Wenn in der praktischen Prüfung die Zylinder knallen und der Motor einwandfrei losbollert, wird sie Zweiradmechatroniker-Meisterin sein. Lisa hat gefunden, wofür sie brennt.

„Durch den Sport habe ich den Ehrgeiz, immer die Beste zu sein“, sagt die Hernerin. „Das ist wie ein Feuerchen, das in mir lodert.“ Lisa war ein Jahrzehnt Leistungsruderin. Als Schlagfrau im deutschen Doppelvierer gewann sie zwischen 2014 und 2016 Gold bei der EM, bei der WM und bei den Olympischen Spielen in Rio. „Längst gegessen“, unterbindet sie jede Lobhudelei. Ihre Ausbilder werden allerdings nicht müde „unsere Olympiasiegerin“ hervorzuheben. Die Jungs in der Meisterschule nehmen es entspannt hin. 

Verloren im Nebel

Im Frühjahr 2017 bestritt Lisa ihre letzte Regatta in Krefeld. Sie überquerte die Ziellinie wieder einmal als Erste, aber ihr Bauchgefühl sandte eine andere, eindeutige Botschaft: Du brauchst diesen Wettstreit mit anderen nicht mehr. „Krass“, dachte Lisa von sich selbst überrascht. 

Schon nach den Sommerspielen in Rio hatte sich ansatzweise Ziellosigkeit breitgemacht. Der höchste sportliche Gipfel war erklommen. Die Zukunft nach der Leistungsportkarriere lag jedoch in Nebelschwaden. Womit sollte sie ihr Geld verdienen? Ruderer sind schnurgerade Bahnen gewohnt. Lisa wusste, sie hatte die Kurve nicht gekriegt. 

„Mit 18 Jahren haben wenige Athleten einen Plan, was sie beruflich machen wollen“, sagt Lisa. Sie reihte sich nahtlos ein. Auf Anraten ihrer Trainer und Betreuer am Olympiastützpunkt Westfalen schrieb sie sich zunächst an ihrem Trainingsstandort Dortmund für ein Studium ein. Das versprach größtmögliche Flexibilität für Trainingszeiten und Wettkampfreisen. „Es war ein Alibistudium“, gibt sie zu. „Mein Fokus lag nie darauf, damit beruflich erfolgreich zu werden. Ich war Leistungssportlerin. Ich habe nicht nach rechts, nicht nach links geschaut.“ Den Studiengang Jura brach sie bald ab und wechselte zur Journalistik. Das Gefühl der Verlorenheit blieb. 

 

„Ich habe das Vertrauen der Sportstiftung gespürt. Das hat mich abgesichert, richtig entschieden zu haben.“
Lisa, schmiss ihr Studium und begann eine Ausbildung.

Finales Fiasko in Rio

In Rio registrierten einige Journalisten, dass Lisa ihr Metier studierte. Um sich vor der Kamera zeigen zu können, verschafften sie ihr ein Interview mit dem Doppelvierer der Männer. Für ihre Kommilitonen wäre das ein Sechser im Lotto. Für Lisa war es ein Fiasko: „Ich musste extrem über meinen Schatten springen. Als Journalist muss man anderen Menschen auch mal auf die Nerven gehen. Das kann ich nicht und möchte ich nicht.“ 

Es wurde Zeit für einen Schlussstrich. Aber was dann? Sie lauschte jetzt ihrem Bauchgefühl. „Ich liebe Motorradfahren und wollte schon immer wissen, wie diese feinfühlige Technik funktioniert.“ Ein Tagespraktikum in einer Kfz-Werkstatt half, sowohl Meister als auch Sportlerin voneinander zu überzeugen. Im Herbst 2017 machte Lisa Nägel mit Köpfen und begann die Ausbildung zur Zweirad-Mechatronikerin. „Anders als im Studium, weißt du direkt, worum es geht.“  

Vertrauen in Lisas Weg

Während ihrer Findungsphase blieb Lisa im Förderteam der Sportstiftung NRW. „Wir lassen Athleten nicht sofort fallen lassen, wenn sie mal nicht permanent Höchstleistungen zeigen“, erklärt Geschäftsführer Jürgen Brüggemann. „Wir sehen uns in der Verantwortung, Bundeskadersportler in eine berufliche Karriere nach der sportlichen Karriere zu begleiten.“ Fragt man Lisa, gelang das: „Ich habe das Vertrauen der Sportstiftung gespürt. Das hat mich abgesichert, richtig entschieden zu haben.“ Auch Ihr Heimatverein, der Crefelder RC, leistete bis ans Karriereende einen kleinen Unterstützungsbeitrag. 

Die Lehre war eine Befreiung, eine psychische Entlastung. Dank Abitur und guten Zwischenprüfungen konnte Lisa die Ausbildung auf zwei Jahre verkürzen. Das neue Leben mit 450 Euro im Monat bei 40 Stunden Wochenarbeitszeit trotzte ihr Disziplin ab: „Das kann schon sehr demotivierend sein, aber als Azubi kannst du dir nicht viel rausnehmen.“ Ihre Eltern und ihr Freund unterstützten Lisa bei der Wohnungsmiete. „Außerdem brauche ich ohne das Rudern weniger Kalorien und muss nicht mehr dreimal täglich warm essen. Man entfernt sich schnell von der manchmal eintönigen Welt des Sports.“ 

Mehr Mut und gute Beratung 

Das Studium war der Weg des geringsten Widerstandes. Lisa wollte den Anforderungen des Leistungssports bestmöglich gerecht werden. Sie spürte auch den Druck der Gesellschaft, sagt sie, mit Medaillen zu glänzen. Ihr Fokus war eindeutig, aber einförmig. „Mir fehlte kurz nach dem Abitur der Mut, den Weg einzuschlagen, der mir gefällt. Ich glaube, dass zwei bis drei Jahre Pause für die Ausbildung machbar gewesen wären. Das erfordert vorher jedoch eine gute Berufsberatung.“

Projekt Potenzialanalyse:

Um den Fokus bei der beruflichen Orientierung zu schärfen und die Persönlichkeitsentwicklung jugendlicher Leistungssportler zu fördern, hat die Sportstiftung NRW ein Pilotprojekt ins Leben gerufen. Das freiwillige Beratungsangebot richtet sich zunächst an alle Bewohner*innen der Sportinternate in Nordrhein-Westfalen, die bis 2022 das Abitur ablegen. Bei den Teilnehmern werden die Stärken, Verhaltenspräferenzen und Motive analysiert. Sie sollen objektiv reflektiert ihre persönlichen Möglichkeiten erkennen, um den Weg zu einem passenden Berufsbild zu finden. Die zweijährige Pilotphase startete im Oktober 2019. Das Projekt ist Teil der Qualitätsoffensive in den NRW-Sportinternaten.

Lisa Schmidla in der Werkstatt, schaut hinter Motorrad hervor Categories: Story | Comments 1262 Keine Puppen
„Ich habe das Vertrauen der Sportstiftung gespürt. Das hat mich abgesichert, richtig entschieden zu haben.“
Lisa, schmiss ihr Studium und begann eine Ausbildung.

Nudeln auf dem Kopf waren ein eindeutiges Zeichen. Gesa kochte. Nicht am Herd, sondern vor Ärger. Die drei großen Brüder hatten ihre Händeleien wieder einmal übertrieben. Gesas Missmut musste raus. Die Pasta flog durch das Zimmer. Kopftreffer. Böses Foul. Aber ein klarer Tatbestand vor dem elterlichen Schiedsgericht: Es war Notwehr. 

Wer mit älteren Geschwistern aufwächst, noch dazu als Mädchen unter Kerlen, entwickelt entweder rechtzeitig Ellbogen oder wird unsichtbar. Noch härter erwischte es Ira. Als jüngstes und bis heute kleinstes Familienmitglied reiht sie sich hinter Gesa ein. Bei ihr entlud sich daher bisweilen die Frustrationskette. 

Ruppig und reißfest

„Wer sich ergibt, bekommt kein Foul gepfiffen“, zitiert Gesa aus dem ungeschriebenen Gesetzbuch des Wasserballsports. „Man muss den Ball schon behaupten wollen“, sagt Ira. Es klingt wie ein Freibrief für zügellose Körperlichkeit im Spiel. „Vielleicht sind wir deshalb härter im Nehmen als andere Sportlerinnen. Wir können mehr einstecken“, vermuten die Schwestern. Wer einmal ein Wasserballspiel verfolgt hat, weiß diese Eigenschaften zu schätzen. Es geht schnell ruppig zu. Badeanzüge sollten reißfest sein. Was unter Wasser geschieht, entzieht sich leicht dem Blick der Schiedsrichter. Es hat also auch sein Gutes, wenn man sich in unzähligen Kinderzimmerkämpfen behaupten muss.

Keine Puppen

„Beim Training zu zweit ging es früher oft so weit, bis eine geheult hat“, erinnert sich die 21-jährige Ira. Bis zur D-Jugend trainierten die Schwestern in ihrer Heimatstadt Hannover mit der Jungenmannschaft. Vater Jörg gründete 2008 den Verein White Sharks Hannover und nahm seine Töchter auf. „Mit Puppen habe ich nie gespielt“, sagt Gesa, 24. Sie ist die bessere Schwimmerin. Ihre Paradestrecke waren die 200 Meter Brust. Gesa besuchte ein Teilzeitinternat, aber der Spaß am „Kacheln zählen“ ließ mit 16 Jahren nach. „Ich habe mich vor Wettkämpfen manchmal besonders langsam umgezogen, damit ich den Start verpasse“, gesteht die Studentin. „Im Wasserball konnte ich erfolgreicher sein.“ Die solide Schwimmausbildung kommt ihr heute zugute. Gesa ist die perfekte Konterspielerin: „Ich weiß, wie ich 500 Meter am Stück schnell schwimme.“ Das hebt sie von vielen Mannschaftskameradinnen beim SV Bayer Uerdingen und in der Nationalmannschaft ab. Auch von Ira.

Aber der 1,60 Meter großen kleinen Schwester entschlüpfte, trotz geringerer Schwimmkunst, so einfach kein Gegner. Gesa verdreht die Augen: „Ira ist wie eine Klette. Außerdem ist sie immer gut für die wichtigen Tore und Aktionen. Ira schießt nicht oft aufs Tor, aber wenn sie schießt, ist der Ball drin.“

Das neue Wasserballoutfit ist Thema beim Kaffee. Ira und Gesa (r.) in der Küche ihrer Kölner Wohnung.

Gegenwind auf dem EM-Kurs

Hohes Schwimmtempo ist die Grundlage für schnelles Umschaltspiel. Hier besteht Nachholbedarf im Nationalteam, hat der Deutsche Wasserballverband (DSV) festgestellt und legte den Damen einen Schwimmtest auf. Neun Wochen lang trainierten sie nichts anderes. Ohne Bestehen sollte das Team nicht zur Europameisterschaft 2020 nach Budapest fahren dürfen, gab der DSV vor. 

Ihr EM-Ticket löste die Mannschaft von Bundestrainer Arno Troost im Oktober. Im Qualifikationsrückspiel gegen Rumänien in Krefeld erkämpften Gesa, Ira und Co. haarscharf ein 14:11 nach Fünfmeterwerfen. 40 Sekunden vor Spielende liegt die deutsche Mannschaft mit einem Tor zurück und wäre ausgeschieden. Ira gelingt der Ballgewinn, der den Ausgleichstreffer einleitet und ihr Team ins Penaltyschießen rettet. Kapitänin Gesa verwandelte den entscheidenden, letzten Wurf. 

Mehr Zweifel als Glaube

Die EM schloss die Mannschaft auf Platz elf ab. Nach fünf Niederlagen in der Vorrunde gegen Italien (4:13), die Niederlande (3:23), Frankreich (5:17), Spanien (4:19) und Israel (3:10) gelang zum Abschluss ein 15:13 nach Fünf-Meter-Schießen gegen Serbien. Damit hatten sie die Teilnahme an einem Olympia-Qualifikationsturnier dennoch klar verpasst. 

Die Qualität im deutschen Kader reiche noch nicht, glauben Gesa und Ira: „Wir könnten viel besser sein.“ Wie, das wird ihnen quasi nebenan vor Augen geführt. Eine Zentralisierung wie in den Niederlanden würde Deutschland voranbringen. Dort sind die Spielerinnen fast die ganze Woche an einem Standort zusammen. Der Verband zahlt ihnen ein Grundgehalt. 

„Wir brauchen mehr Teameinheiten, um das Zusammenspiel zu verbessern, mehr Taktikschulungen, mehr individuell angepasstes Training“, wünschen sich Ira und Gesa. Einmal fiel eine Woche lang das Training aus, weil kein Geld für das Trainingslager zur Verfügung stand. Am Leistungsvermögen der deutschen Wasserballerinnen gibt es mehr Zweifel als Glaube. 

Harte Maßgaben erfüllt

Restlos überzeugt ist die Deutsche Sporthochschule Köln von ihrer Studentin Gesa. Die Uni hat ihr gerade eins der begehrten Deutschlandstipendien verliehen. Förderpartner ist die Sportstiftung NRW, die die Hälfte der monatlichen Unterstützung in Höhe von 300 Euro für zwei Semester übernimmt. Die Maßgaben an Stipendiaten sind anspruchsvoll. Gefordert werden sehr gute Leistungen im Studium und ein Bundeskaderstatus. Gesa arbeitet an ihrem Master in Bereich „Leistung, Training und Coaching im Spitzensport“. 

Ira studiert Medizin an der Universität zu Köln. Die Sportstiftung vermittelte ihr ein Pflegepraktikum und plant mit ihr die nächsten Schritte ihrer Zwillingskarriere. Ira setzt auf ein frühes Miteinander von Leistungssport und Berufseinstieg. „Ira war schon immer die Schlauste unter uns Geschwistern“, sagt Gesa. 

Fünfmal abends im Verein in Krefeld, zweimal morgens im Kraftraum des Olympiastützpunkts Rheinland wird jede Woche neben dem Studium gemeinsam trainiert. „Da geht mehr.“ Am Willen der beiden Schwestern sollen große Ziele nicht scheitern. Gesa und Ira haben große Brüder. Und Ellbogen. Das Fernziel Paris 2024 ist realistisch. Außerdem: Wer sich ergibt, nach dem pfeift kein Schwein. 

Update:

Deutschlands Wasserballerinnen haben die Europameisterschaft im Januar 2020 auf Platz elf abgeschlossen. Nach fünf Niederlagen in der Vorrunde gegen Italien (4:13), die Niederlande (3:23), Frankreich (5:17), Spanien (4:19) und Israel (3:10) gelang ihnen zum Abschluss ein 15:13 nach Fünf-Meter-Schießen gegen Serbien. Damit haben sie dennoch die Teilnahme an einem Olympia-Qualifikationsturnier verpasst.

Ira und Gesa Deike, Wasserballerinnen, in ihrem Zimmer Categories: Story Schlagwörter: | Comments
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