DLRG
11127 Holt holt Gold

Nina, musstest Du schon jemanden vor dem Ertrinken retten?

Nina Holt: Nein.

Viele glauben Rettungsschwimmen aus der Serie „Baywatch“ zu kennen …

Nina: Ja, das ist oft die erste Assoziation. Selbst die meisten Schwimmer wissen nicht, was Rettungssport ist, und stellen sich Leute vor, die am Ostseestrand Wache halten. Mittlerweile nehme ich das mit Humor und versuche mich nicht angegriffen zu fühlen.

Wie sieht die Realität aus?

Nina: Die wenigsten die Rettungssportler machen zusätzlich Wachdienst. Ich war mit 15 Jahren im Junior-Einsatzteam für ein Wochenende an einem Waldsee bei Erkelenz, um von den Älteren lernen und ein bisschen Spaß zu haben. Ab 16 Jahren darf man in den Wachdienst (Wasserrettungsdienst) – so weit ist es bei mir nicht gekommen.

Könntest Du „Rettung schwimmen“?

Nina: Ich wäre dazu fähig, Menschen aus dem Wasser zu holen und Erste-Hilfe Maßnahmen zu ergreifen. Rettungssportler sind verpflichtet, alle zwei Jahre das Silberne Rettungsschwimmabzeichen abzulegen. Wir ersetzen aber keine Sanitäter. Manche sagen, wir sind keine wirklichen Rettungsschwimmer: Wie wollt ihr Leben retten, wenn ihr Puppen kopfüber durch das Wasser zieht?

Ein Mensch würde in der Tat ertrinken. Warum wird das in deiner Sportart so gemacht?

Nina: Das ist ein bisschen irreführend, so würde man tatsächlich keinen Menschen retten. Das Rettungsschwimmen wird immer mehr auf den Sport zugeschnitten. Die Puppe liegt mit dem Gesicht nach unten besser im Wasser, weil ihr Schwerpunkt oben ist. Die Rennen werden so immer schneller und interessanter für Zuschauer. Ich finde die Versportlichung sehr gut. Dadurch verstehen die Leute besser, dass es eine Sportart ist. Der Rettungssport ist inzwischen ein eigenes Ressort in der DLRG, dass nicht mehr dem Einsatzbereich zugeordnet ist. Wir trainieren auf Wettkämpfe hin und nicht auf einen realen Rettungseinsatz.

Klarstellung – Was ist Rettungssport?

In diesem Beitraggeht es nicht um die Glorifizierung des Rettungssports. Niemand ist in Not, wenn Nina ins Wasser springt. Der englische Begriff „Life saving“ imaginiert gar heroische Taten der Sportler. Die Daseins-berechtigung des Rettungssports ist dadurch weder größer noch geringer als jene anderer Sportarten. Vor allem vor falschen Vorstellungen sollte deshalb gerettet werden.

Ursprünglich entsprang der Rettungssport der Idee, Menschen für den Wasser-rettungsdienst zu gewinnen. Denn gute Rettungssportler sind auch gute Rettungsschwimmer. Sie übernehmen Erste-Hilfe-Maßnahmen, die in unmittelbarer Nähe zum Wasser notwendig sind. Kraft, Kondition, Schnelligkeit und die Beherrschung der Rettungsgeräte sind Voraussetzung dafür, auch im Wettbewerb konkurrenz-fähig sein zu können.

Im Rettungssport gibt es 12 Einzel-Disziplinen, je 6 im Becken und im Freiwasser, über unterschiedliche Distanzen. Teils wird mit Flossen geschwommen. In der Deutschen Lebens-Rettungs-Gesellschaft e.V. (DLRG) betreiben rund 60.000 Mitglieder aktiv Rettungssport. Die DLRG ist mit über 1,7 Mio. Mitgliedern die größte Wasserrettungsorganisation der Welt und der wichtigste Schwimmausbilder in Deutschland. Im Jahr 2022 verzeichnete die DLRG 355 tödliche Unfälle im Wasser. In NRW waren es doppelt so viele wie im Vorjahr (von 24 auf 56).

Klarstellung – Was ist Rettungssport?




Exzellenz aus Erkelenz

Nina Holt (Jg. 2000) zählt bereits nach ihrer ersten Teilnahme an den World Games zu den erfolgreichsten Rettungssportlern aller Zeiten. Die 19-jährige Erkelenzerin hat mehrfach Rekorde gebrochen. Bei den großen Sportereignissen im Jahr 2022 hätte sie sechsmal dieselbe Schlagzeile über sich lesen können: Holt holt Gold.

„Ich war die, die im Seepferdchen-Kurs eher durchs Becken gelaufen ist, anstatt zu schwimmen“, sagt Nina. „Ich bin vom Boden abgesprungen. Das gab immer Ärger.“ Am Ende hat es irgendwie doch geklappt. Ninas Mutter war Übungsleiterin beim Anfängerschwimmen im alten Erkelenzer Bad. Möglich, dass sie damals begann, genauer hinzuschauen, was ihre Tochter im Wasser veranstaltet. Auch am 10. Juli des vergangenen Jahres. Der Anlass war einige Nummern größer als das Seepferdchen und Utes Anwesenheit überraschend. „Warst Du auch schon da?“, kommentierte sie ein Foto von der Moon Shine Rooftop Bar mit der Skyline von Birmingham im Hintergrund und schickte es Nina. Die Mutter erlebt live mit, wie Nina bei den World Games im US-Bundesstaat Alabama fünfmal Edelmetall gewann. Dass sie sich dabei auch mal vom Beckenboden abstieß, war hierbei sogar regelkonform.

„So krass“ – überall nur Sportler

Nina ist 14 Jahre alt, als sie im Fernsehen zum ersten Mal Notiz von den World Games nimmt. „Ich dachte: Wow, da möchte ich hin.“ Fünf Jahre später ist sie tatsächlich dabei. Wobei „dabei“ extrem untertrieben ist. Nina dominiert. An den World Games in Birmingham nahmen Aktive aus 110 Nationen teil. „Es war so ein krasses Erlebnis. Mit nichts zu vergleichen. Unbeschreiblich. Das Athletendorf war auf einem Unicampus. Man geht aus der Tür und sieht überall nur Sportler.“

Lächelnd zu Rekorden

Nina ist die Jüngste in der Nationalmannschaft, tritt aber in den meisten Disziplinen an: sechs Starts innerhalb von zwei Tagen. Ihr erstes Rennen ist an einem Nachmittag. Nina hat eine „entspannte“ Nacht hinter sich und konnte ausschlafen. Ein besonderer Luxus für Schwimmer, die normalerweise schon Bahnen ziehen, während sich andere im Bett nochmal umdrehen.

Eine Woche vor den World Games war Ninas Stimmung „eher naja“. Jetzt aber stimmt die Form. „Da muss man dann ehrlich mit sich selber sein“, erklärt sie. „Wenn man die Nerven behält und im Wettkampf reproduziert, was man trainiert hat, dann läuft es einfach. Ich bin lächelnd ins Rennen gegangen und habe mein Ding gemacht.“ Sie gewinnt ihr erstes Gold in der Disziplin 200 Meter Hindernis, bei der pro Bahn zwei 70 Zentimeter tiefe Hindernisse untertaucht werden müssen. Nina unterbietet die von ihr selbst aufgestellte deutsche Bestzeit um drei Sekunden. Innerhalb von 48 Stunden legt sie zwei World-Games Rekorde, einen Weltrekord und reichlich Edelmetall nach.

Zwei Monate nach den World Games reist Nina als Favoritin zu den Weltmeisterschaften im italienischen Riccione. Erneut bricht sie Rekorde und heimst Medaillen ein.

Foto: Denis Foemer (DLRG)

Sie taufen sie „Wasser-Usain-Bolt“

„2022 war das erste Jahr, in dem es durch und durch gut lief“, schwärmt die Athletin. „Ein Unterschied wie Tag und Nacht“, sei es gewesen, im Vergleich zur Saison davor. Wegen Corona blieben damals viele Bäder geschlossen. „Ich bin von Ort zu Ort gereist, um irgendwie Wasserzeiten zu bekommen.“ Dass es sportlich auch anders laufen kann, lehrte die Europameisterschaft. Nina setzt ein Rennen in den Sand. „Das hat mich in dem Moment fertiggemacht“, erzählt sie. „Aber ein schlechter Wettkampf entscheidet nicht über meine Karriere.“ Schon das nächste Rennen lief besser. Am Ende fährt sie ihre erste internationale Medaille in der offenen Klasse ein: Bronze über 200 Meter Hindernis.

Nach ihrem Abitur wird Nina Sportsoldatin. Sie zieht nach Warendorf im Münsterland, wo sich der Bundesstützpunkt für Rettungssportler befindet. Dort trainiert sie täglich mit Material – Puppen, Gurte, Flossen – anstatt nur vor den Wettkämpfen. „Warendorf war ein Leistungssprung“, sagt Nina. Vier Monate nach ihrer Ankunft stellt sie ihren ersten Weltrekord bei den Deutschen Einzelstrecken-Meisterschaften auf – in ihrer Lieblingsdisziplin, der kombinierten Rettungsübung. Zuerst im Vorlauf, dann unterbietet Nina sich selbst im Finale. Ihre Trainingsgruppe verpasst ihr den Spitznamen „Wasser-Usain-Bolt“.




Ninas World-Games-Bilanz

Gold über 200 Meter Hindernis
Bronze über 100 Meter Retten mit Flossen
World-Games-Rekord über 50 Meter Retten
Gold mit der Staffel „4 x 25 m Retten einer Puppe“
Gold + Weltrekord mit der Staffel „4 x 50 m Retten mit Gurt“

Ninas WM-Bilanz

Gold + Weltrekord über 100 Meter Kombinierte Rettungsübung (1:07,04 Minuten)
Gold + Europarekord über 50 Meter Retten einer Puppe
Silber mit der Staffel „4 x 25 m Retten einer Puppe“
Bronze über die 200 Meter Hindernis
Bronze mit der 4×50-m-Rettungsstaffel
Bronze mit der Rettungsstaffel im Freigewässer

Wie fühlt sich das an, einen Weltrekord zu brechen?

Nina: Das mit dem Rekord war eine krasse Sache. Durch meine Zeiten im Training wusste ich, so langsam bin ich nicht. Ich hatte mir den Rekord dann in gewisser Weise vorgenommen. Während des Rennens denkt man nicht: Ich will Weltrekord schwimmen, sondern: Ich will maximal schnell schwimmen. Wir hatten Sprecher in der Halle. Die hatten es gar nicht auf dem Schirm. Ich war mir im Ziel selbst nicht sicher. Die Liste der Rekorde war nicht aktualisiert worden. Ich hatte mir vor dem Rennen die Rekordzeit nochmal angesehen – aber eben die falsche, nicht aktuelle Zeit. Es hätte unangenehm werden können (lacht). Ich war dann knapp darunter. Als ich aus dem Wasser gestiegen bin, sprintete einer aus meiner Trainingsgruppe zum Sprecher. Natürlich ist in diesem Moment noch nichts offiziell, aber die Zeit war erstmal gefallen. Das war für mich in dem Moment genug, um ein bisschen zu feiern.
(Foto DLRG/Daniel-André Reinelt)

Wie fühlt sich das an, einen Weltrekord zu brechen?

Die Puppe braucht Gefühl

Bei der kombinierten Rettungsübung müssen erst 50 Meter Freistil absolviert werden. Dann tauchen die Athleten nonstop 17,5 Meter zum Boden des Beckens. Dort nehmen sie eine 50 Kilogramm schwere Puppe auf, wobei sie sich vom Boden abstoßen dürfen, um die Puppe die übrigen 32,5 Meter ins Ziel zu schleppen. Es kommt auf Geschicklichkeit an. Nina: „Es gibt unheimlich gute Schwimmer, die aber nicht das Gefühl dafür haben, wie man eine Puppe bewegt. Es gibt so viele technische Feinheiten. In der ‚Kombi‘ ist es egal, ob du auf den ersten 50 Metern vorne bist, denn man muss noch zur Puppe tauchen, sie aufnehmen und mit ihr schwimmen. Allein bei der Aufnahme kann die Puppe aus der Hand rutschen und das Rennen entschieden werden.“

So ein Missgeschick passierte Nina zuletzt bei den Deutschen Meisterschaften 2018. Sie verlor die Puppe. Das kostete fünf Sekunden und das Podium. Bitter: In derselben Disziplin hatte sie zuvor bei der Jugendeuropameisterschaft (JEM) Silber gewonnen. Dass sie überhaupt mit damals 15 Jahren an einer JEM teilnehmen konnte, war besonders. Erst 2015 war sie der DLRG Erkelenz beigetreten – eigentlich nur, um mehr Schwimmzeiten abzubekommen. Dass es im Rettungsschwimmen Wettkämpfe gibt, wusste sie nicht. Die DLRG-Ortsgruppe war ein Tipp von Mama. „Im Schwimmsport wäre ich zu dem Zeitpunkt nicht bei einer EM gestartet.“ Die Geschichte nimmt ihren Lauf.

FELIX-Gratulanten: NRW-Ministerpräsident Henrik Wüst (l.), Dr. Ingo Wolf, LSB-Präsident Stefan Klett (r.). Foto: Andrea Bowinkelmann

Präsidenten gratulieren

Nina Holt wird als World-Games-Athletin des Jahres nominiert. Bundespräsident Steinmeier zeichnet sie und die anderen Goldmedaillengewinner mit dem Silbernen Lorbeerblatt aus. Es ist die höchste Auszeichnung für sportliche Spitzenleistungen in Deutschland. Zum Jahresende gratuliert NRW-Ministerpräsident Hendrik Wüst zum FELIX Newcomer-Award. Die Preisträger werden jährlich von den Bürgern per Online-Voting bestimmt. Geht es nach Nina, darf ein „kleiner Erfolg“ nicht unerwähnt bleiben, der nichts mit Rettungssport zu tun hat. Mit dem dritten Platz bei den Deutschen Meisterschaften über 50 Meter Freistil bewies sie sich: „Ich kann auch was im Schwimmen.“

Schwimmen ist im Gegensatz zum Rettungsschwimmen eine olympische Sportart und damit näher dran an Fördertöpfen und Medienpräsenz. „Ich finde es schade, dass unsere Leistungen manchmal runtergespielt werden“, sagt Nina. „World-Games-Sportler machen ihre Sportarten mit dem gleichen Ehrgeiz, mit dem gleichen Ziel zu gewinnen. Man denkt, man bekommt mehr Anerkennung, aber dann gibt es immer wieder mal Punkte, wo man sich denkt, es könnte ein bisschen besser laufen.“ Langsam entwickle sich mehr Förderung für Rettungssportler. Bei der Sportstiftung NRW können sich World-Games-Sportlerinnen und -Sportler seit 01.01.2023 um eine gleichberechtigte Individualförderung bewerben.

Vom FELIX nach Magdeburg (und nach Australien?)

Nach der FELIX-Gala im Dezember bezieht Nina eine 60-Quadratmeter-Wohnung in Magdeburg. In dem Plattenbau wohnen Studenten und Rentner. Ninas erste eigene Wohnung ist „ganz schnuckelig“ und nur fünf Gehminuten von der Elbehalle entfernt. Bundestrainerin Elena Prelle hatte die DLRG zum Jahreswechsel auf eigenen Wunsch verlassen. Da ein Trainerwechsel somit ohnehin anstand, entschied sich Nina nach einigen Probetrainings in ganz Deutschland für den Wechsel von Warendorf an den Bundesstützpunkt „Schwimmen“ in Magdeburg. NRW bleibt sie durch ihre Vereine, die SG Mönchengladbach und die DLRG Harsewinkel, verbunden. Die Trainingsgruppe von Bernd Berkhahn in Magdeburg gilt als eine der stärksten weltweit, unter anderem mit Olympiasieger Florian Wellbrock. „Ich finde es wichtig, sich im Training wohlzufühlen, einem Trainer zu vertrauen und zu verstehen, was wir trainieren. Ich glaube, der Wechsel wird mich weiterbringen.“

Im Schwimmen wird 2023 erstmalig eine U23-EM ausgetragen. „Das schlägt eine Brücke zwischen Jugend und offener Klasse“, erklärt Nina. Wittert sie eine Chance, im olympischen Sport durchzustarten? „Ich will erstmal die Teilnahme schaffen“, wiegelt die Newcomerin ab. Dieses Prinzip hat bisher gut funktioniert: Erstmal am Boden bleiben und sich dann abstoßen. „Vielleicht ziehe ich in neun Jahren nach Australien und will Olympia im Rettungssport machen.“




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