WestLotto
13136 Alumni trainieren Teamgeist unter Tage

Nach der Sportkarriere in kein Loch fallen – vor dieser mentalen und beruflichen Herausforderung stehen alle Athletinnen und Athleten irgendwann. Die Sportstiftung NRW hat deshalb Olympioniken und frühere Spitzentalente verschiedener Sportarten zu einem besonderen Trainingserlebnis unter Tage eingeladen. Im Trainingsbergwerk Recklinghausen absolvierten die Mitglieder des Alumni-Netzwerks einen Übungsparcours der Grubenwehr, um sich gemeinsam auf die nachsportliche Lebensphase einzustimmen.

Das Alumni-Event wurde 2021 von der Sportstiftung NRW und Partner WestLotto ins Leben gerufen, um den Zusammenhalt ehemaliger NRW-Athletinnen und -Athleten zu stärken und nachsportliche Förderangebote zugänglich zu machen. Die Stiftung begleitet den Umbruchprozess mit Coachingangeboten und Berufseinstiegsprogrammen. Nach Stationen am Eiskanal in Winterberg 2021 und beim Target Sprint in Dortmund 2022 fand das Alumni-Event am 2. September 2023 zum dritten Mal statt.

Die Teilnehmer stellten sich einem spielerischen, aber körperlich herausfordernden Wettbewerb unter Tage. Das Trainingsbergwerk Recklinghausen verfügt über einen Übungsparcours, in dem die Grubenwehr verschiedene Rettungsszenarien trainiert. Der abgedunkelte Parcours kann stellenweise nur kriechend bewältigt. Für die Alumni-Teams galt es, in kürzester Zeit den richtigen Weg durch die engen Gänge zu finden.

„Ich war vorher ziemlich aufgeregt. Wir wussten nicht so richtig, was auf uns zukommt“, sagt Alumni Nadine Apetz, Olympiateilnehmerin 2021 im Boxen. „Das war Wettkampf-Feeling. Der Körper kennt das noch und hat alles hochgefahren. Der Parcours war ordentlich anstrengend, aber hat viel Spaß gemacht.“ Auch Ex-Stabhochspringer Karsten Dilla kletterte nassgeschwitzt, aber grinsend aus dem Parcours: „Meine Erwartungen an das Alumni-Event der Sportstiftung sind immer sehr hoch – aber sie wurden wieder alle erfüllt.“

Der Film zum Alumni-Event 2023

Alumni-Athleten trainieren Teamgeist unter Tage

Der Film zum Alumni-Event 2023

Authentische, nahbare Vorbilder für Nachwuchsportler

Dr. Ingo Wolf, Vorstandsvorsitzender der Sportstiftung NRW: „Das Gemeinschaftsgefühl von Bergleuten und von Sportlern ist für sich einzigartig. Durch unser Alumni-Netzwerk stärken wir diesen Zusammenhalt und bewahren die wertvollen Erfahrungen vielfältiger Sportlerkarrieren für künftige Generationen.“ 

Maximilian Hartung, Geschäftsführer der Sportstiftung NRW: „Auch Dank der Expertise früherer Spitzenathletinnen und -athleten hat die Sportstiftung in diesem Jahr ihre Individualförderung für Nachwuchstalente reformiert. Unser Ziel ist es ausgewählte junge Athletinnen und Athleten in ihrer Entwicklung zu mündigen Persönlichkeiten zu unterstützen. Alumni nehmen dabei als Vorbilder und authentische, nahbare Ratgeber eine wichtige Rolle ein.“

Andreas Kötter, Geschäftsführer von WestLotto: „Das Alumni-Event hat sich zu einer guten Tradition entwickelt – und wir sind stolz darauf, von Anfang an dabei zu sein. Die ehemaligen Athletinnen und Athleten wissen, dass sie hier ein starkes Netzwerk finden und Partner, auf die sie sich verlassen können. Für uns bedeutet sportliche Förderung mehr als nur die nächste Medaille im Blick zu haben.“

Alumni-Event 2023 in Bildern

Die Teilnehmer 2023:

Mareike Adams, Rudern (OS, WM-Bronze, 2x EM-Silber)

Nadine Apetz, Boxen (OS, WM-Bronze, EM-Bronze)

Mareike Arndt, Siebenkampf (EM, DM)

Karsten Dilla, Stabhochsprung (OS, EM)

Linn Freisewinkel, Wasserball

Lara Hoffmann, 400-Meter-Sprint (OS, EM-Gold & -Silber)

Laura Kampmann, Rudern (Silber U23 WM)

Max Keller, Boxen (DM Superschwergewicht)

Charlotte Körner, Rudern (U23 WM)

Benjamin Lenatz, Para Triathlon (WM, EM)

Leon Schandl, Rudern (Silber University World Games)

Frederik Schreiber, Judo (Silber European Cup)

Anna Tully, Bobsport (OS, WM-Gold, EM)

Victoria von Eynatten, Stabhochsprung (U20 WM-Silber)

Stefan Wallat, Rudern (2x WM-Gold)

Stefan Windscheif, Volleyball (EM)

(größte Erfolge: Teilnahme OS = Olympische Spielen, PS = Paralympische Spiele, WW =Weltmeisterschaften, EM = Europameisterschaften. DM = Deutscher Meistertitel)

Mehr als 30 ehemalige Spitzensportlerinnen und -sportler aus NRW haben sich dem Alumni-Netzwerk angeschlossen.

Christoph Tesche, Bürgermeister Stadt Recklinghausen, übernahm die Siegerehrung beim Alumni-Event: „Recklinghausen ist eine Sportstadt und hat immer wieder herausragende Sportlerinnen und Sportler hervorgebracht. Es ist gut und richtig, dass diese Spitzensportlerinnen und Spitzensportler auch nach dem Ende der Karriere begleitet und ihnen Perspektiven aufgezeigt werden. Diesen ganzheitlichen Ansatz der Sportstiftung finde ich großartig. Nachwuchsathletinnen und -athleten – die Nachfolger der Alumni – haben es verdient noch mehr Unterstützung zu bekommen.“

Das Team mit Stefan Wallat und Frederik Schreiber, unterstützt von Hannah Pohl (Sportstiftung), benötigte für den Parcours rund 19 Minuten und erreichte damit die schnellste Zeit.

Geschichte des Steinkohlebaus seit 2019 erlebbar

Das Trainingsbergwerk befindet sich unter der Halde der Zeche Recklinghausen-Hochlarmark und wird von rund 80 aktiven ehrenamtlichen Mitgliedern eines Fördervereins getragen – darunter zahlreiche ehemalige Bergleute. Im Zweiten Weltkrieg diente es zunächst als Luftschutzbunker. Mit dem Ausbau in den 70ern zum Ausbildungsgelände für Bergleute erhielt die Anlage eine neue Bestimmung. Es entstand ein Streckennetz von 1,2 km Länge. Seit 2019 können Besucher die harte und anspruchsvolle Arbeit der Kumpel im Steinkohlebau bei verschiedenen Führungen aktiv kennenlernen. Auch der letzte „Schwarzbus“ des Reviers parkt im Trainingsbergwerk. Der Bus fuhr die Kumpel über Tage zwischen den Schachtanlagen hin und her.

Wir danken allen Helfern vom Trainingsbergwerk Recklinghausen e.V. für ihre Unterstützung!

Categories: News Schlagwörter: , , , , , , , , , , , , , | Comments 9687 Alumni-Sportler sind zielsicher

Das Alumni-Netzwerk war in diesem Jahr mittten in NRW beim Bürger-Schützen-Vereins Aplerbeck e.V. zu Gast. Die Alumni nutzten den Erlebnistag mit der Sportstiftung und WestLotto, um sich beim Übergang vom Leistungssport in die nachsportliche Karriere gegenseitig zu unterstützen und spezielle Förderangebote kennenzulernen.

In Aplerbeck befindet sich der planmetrisch festgestellte geographische Mittelpunkt Nordrhein-Westfalens. Damit war der Dortmunder Stadtteil symbolträchtig für das Alumni-Event der Sportstiftung NRW am 20. August 2022: Den Mittelpunkt zu treffen, war Aufgabe der Teilnehmer beim Target Sprint. Alumni verschiedener olympischer und paralympischer Sportarten stellten sich dem spielerischen Staffelwettbewerb. Fachkundige Anleitung gab unter anderem Target Sprint-Weltmeisterin Jana Landwehr vom gastgebenden BSV Aplerbeck sowie zahlreiche Helfer des Vereins und des Deutschen Schützenbundes. Nach der Premiere mit Taxi-Bobfahrten in Winterberg im Jahr 2021 fand die Netzwerkveranstaltung in Dortmund zum zweiten Mal statt.

Begegungen, die beim Umbruch helfen

Maximilian Hartung, Geschäftsführer der Sportstiftung NRW: „Nach dem Ende der Sportkarriere fallen viele Athletinnen und Athleten abrupt aus einem System heraus. Der Leistungssport hat ihrem Alltag bisher Struktur gegeben, bestimmte ihre Ziele und war ihr wesentlicher Lebensinhalt. Das Alumni-Netzwerk ermöglicht Begegnungen zwischen Sportlerinnen und Sportler, die sich in dieser Situation befinden, die sich neu orientieren und, die Mut für die Zeit nach dem Karriereende fassen wollen. Die Sportstiftung NRW unterstützt diesen Umbruchprozess mit ihren neuen nachsportlichen Förderangeboten, wie dem Trainee- und Coachingprogramm.“

Andreas Kötter, Geschäftsführer von WestLotto: „Sportförderung ist Teil unserer DNA und wir sind stolz, die Sportstiftung NRW seit mehr als 20 Jahren unterstützen zu dürfen. Wir erleben die Spitzensportlerinnen und Spitzensportler als faszinierende Persönlichkeiten und möchten sie deshalb nachhaltig und über einen langen Zeitraum begleiten. Dieses Alumni-Netzwerk ist beständig und wirkt auch über die sportliche Karriere hinaus.“

Alumni-Event 2022 in Bildern

Teilnehmer des Alumni-Events in Dortmund:

Mareike Adams, Rudern (OS, WM-Bronze, 2x EM-Silber)

Nadine Apetz, Boxen (OS, WM-Bronze, EM-Bronze)

Bastian Börsch, Para Leichtathletik

Fabienne Deprez, Badminton (WM, EM-Silber)

Karsten Dilla, Stabhochsprung (OS, EM)

Dennis Eidner, Wasserball (WM, EM, 5x DM)

Linn Freude, Wasserball (DM)

Philipp Kalberg, Wasserball (DM)

Laura Kampmann, Rudern (Silber U23 WM)

Ronja Kerßenboom, Wasserball (DM)

Anna Köhler, Bobsport (OS, WM-Gold, EM)

Christian vom Lehn, Schwimmen (OS, WM-Bronze, EM-Silber)

Carolin Nischwitz, Wasserball (10x DM)

Julian Real, Wasserball (OS, 4x DM)

Stefanie Schiffer, Säbelfechten (Em-Gold und WM-Bronze Team)

Benedikt Wagner, Säbelfechten (OS, WM-Gold, 3x EM-Silber)

Stefan Wallat, Rudern (2x WM-Gold)

Stefan Windscheif, Volleyball (EM)

Lena Zelichowski, Bobsport

(größte Erfolge: OS = Olympische Spielen, PS = Paralympische Spiele, WW =Weltmeisterschaften, EM = Europameisterschaften, DM = Deutscher Meister)

Mehr als 30 ehemalige Spitzensportlerinnen und -sportler aus NRW haben sich mittlerweile dem Alumni-Netzwerk angeschlossen. Das Alumni-Event findet jährlich an unterschiedlichen Orten in NRW stattfinden.

Dr. Ingo Wolf, Vorstandsvorsitzender der Sportstiftung NRW: „Das Alumni-Netzwerk bündelt den Erfahrungsschatz von Athletinnen und Athleten verschiedener Disziplinen. Der Sportstiftung NRW kann dieses Wissen als Leitfaden für die künftige Nachwuchsförderung dienen. Durch die langjährige Partnerschaft mit WestLotto gewinnt das Netzwerk darüber hinaus die Perspektive eines erfolgreichen Wirtschaftsunternehmens.“

Das Motto 2022: Target Sprint

Die Sportart Target Sprint ist eng mit Sommerbiathlon verwandt. Die Athleten laufen 400 Meter, im Anschluss gilt es stehend fünf Klappscheiben (35 mm Durchmesser) in zehn Metern Entfernung schnell und fehlerfrei zu treffen. Für Fehlversuche gibt es Zeitstrafen. Die Druckluftwaffe wird beim Laufen nicht mitgeführt. Gelaufen und geschossen wird in drei Runden. Jana Landwehr, Target Sprint Weltmeisterin von 2018, benötigt für fünf Treffer im Schnitt 25 Sekunden und läuft die 400-Meter-Distanz unter 1:20 Minuten. Internationale Meisterschaften werden in dieser Disziplin erst seit 2017 ausgetragen.

„Schuss mit lustig“ hat die Nase vorn

Auch unter den sechs Alumni-Teams wurde die schnellste und zielsicherste Target-Sprint-Staffel gesucht, die zudem alle Teamaufgaben erfolgreich bewältigen konnte. Wer sich im Laufe des Tages mit anderen Teilnehmern intensiv ausgetauscht hatte, konnte beim abschließenden Alumni-Quiz weitere Punkte sammeln. In der Gesamtwertung lag am Ende Team „Schuss mit lustig“ mit Lena Zelichowski, Fabienne Deprez und Dennis Eidner knapp vorne.

WestLotto veranstaltete im Rahmen des Alumni-Events eine Teampainting-Aktion. Auf kleinen Leinwänden konnten die Alumni-Sportler ihrer Kreativität freien Lauf lassen. Am Ende wurden alle Einzelkunstwerke zu einem großen Mosaik zusammengesetzt.

Wir danken dem BSV Aplerbeck und dem Deutschen Schützenbund für ihre Unterstützung!

Categories: News Schlagwörter: , , , , , , , , , | Comments 5163 So viel mehr als nur Reiten

Ruhig öffnet Gianna Regenbrecht die Boxentür in der Westfälischen Reit- und Fahrschule in Münster. Ihre Dunkelfuchsstute Selma senkt sofort den Kopf. Sanfte Begrüßung. Gianna streift ihr ein Halfter über und holt sie aus der Box. Mit der einen Hand führt sie Selma am durchhängenden Strick, mit der anderen fährt sie ihren Rollstuhl durch die Stallgasse. Ein ganz normaler Tag.

Gianna ist im Nachwuchskader der deutschen Para Dressurreiter und amtierende deutsche Vizemeisterin in ihrer Wettkampfklasse. Nach einem Jahr Corona will sie nur eins: endlich wieder Turniere reiten. Manchmal baut der Chef der westfälischen Reit- und Fahrschule Jörg Jacobs ein Trainingsturnier auf, um drin zu bleiben: Mähne einflechten, Blümchen an das Viereck stellen, Aufgabe reiten. Oder Gianna fährt nach Warendorf zum Landgestüt. Rein in den Hänger, raus aus dem Hänger. Andere Umgebung, andere Halle, andere Geräusche und Gerüche. Selma hat ein wenig von ihrer Coolness verloren in der reizarmen Coronazeit. Der Reiter muss in solchen Situationen das Pferd auch mal etwas entschiedener steuern können. „Ohne Beine ist das dann schwierig“, sagt Gianna.

 

Wie auf einem Sitzball ohne Beine

Sie geht zurück zu jenem Tag im Jahr 2014. Gianna ist 20 Jahre alt. Sie reitet das Pferd einer Freundin, es erschrickt sich, steigt, stürzt nach hinten und begräbt seine Reiterin unter sich. Giannas zweiter Lendenwirbel bricht. In den Wochen danach implantieren Ärzte ihr einen Titanwirbel, verdrahten und verschrauben sie. Gianna sagt, ihr Rückenmark sei „durchlöchert wie ein Schweizer Käse“; nur ein paar wenige Muskeln in den Beinen kann sie noch ansteuern. Inkomplett querschnittsgelähmt heißt das im Fachjargon.

Gianna lernt das Leben neu. „Plötzlich kennt man seinen Körper nicht mehr“, sagt sie. Nach drei Monaten kann sie mit dem Zeh wackeln. Es ist „das Größte“ für sie. Sie stürzt sich in die Reha, feiert auch kleine Fortschritte als Erfolge. Bei der Hippotherapie sitzt sie wieder auf dem Pferderücken – und will es fortan nicht mehr missen. Mit Claudia Lange, Giannas Trainerin des Vertrauens seit sie 16, ist und dem sanften Norwegerwallach Hero beginnt sie zu üben. Heimlich. „Ich wusste, es fühlen mir sonst alle den Puls“, sagt Gianna und lacht. Anfangs ist sie wackelig im Sattel. Ihr Gleichgewichtssinn funktioniert, aber ihre Muskeln können ihn nicht umsetzen. „Es fühlt sich an wie auf einem Sitzball, wenn man die Beine hochhebt“, beschreibt sie das Gefühl.

Sieger der Herzen

Als sie auf Hero auch im Trab sitzen kann, drehen sie ein Video. Sie zeigt es ihren Eltern. Jetzt ist es öffentlich: Gianna reitet wieder. Durch „Zufall oder Schicksal“, wie sie sagt, lernt sie den Bundestrainer der Para Reiter kennen. Er erkennt ihr Potenzial und gibt ihr einen Startplatz bei den Deutschen Meisterschaften, um „das Feeling“ zu bekommen. Mit Freundin Sonja, Trainerin Claudia und Pony Hero, der mit seinen 20 Jahren noch nie so weit gereist war, machen sie ein Mädelswochenende in Brandenburg. Auf dem Abreiteplatz traben Hero und Gianna neben Grand-Prix-Pferden. Am Ende werden sie Vorletzte, aber Sieger der Herzen. „So bin ich da reingerutscht“, erzählt Gianna lächelnd. 2016 kommt Selma zu ihr und erfüllt den Wunsch vom ersten eigenen Pferd.

„Mut machen, das kann ich“

Aufgewachsen ist Gianna in Lippstadt. Nach dem Abitur beginnt sie eine Ausbildung zur Tierarzthelferin und wartet auf einen Studienplatz für Tiermedizin. An diesem Plan will sie auch nach ihrem Unfall festhalten. Da denkt sie noch, in einem halben Jahr könne sie wieder laufen. Nach und nach wird ihr klar: „Das geht nicht.“ Wieder bezeichnet sie es als „Schicksal“, in der Klinik von einem Arzt behandelt zu werden, der ebenfalls im Rollstuhl sitzt. Sie schwenkt gedanklich um auf Humanmedizin will mit den eigenen Erfahrungen anderen helfen, mit „dem Querschnitt“ umzugehen, und ihnen Mut machen. „Ich glaube, das kann ich“, sagt sie. „Patienten sprechen gerne mit mir. Sie fühlen sich verstanden.“ Es geht – in jeder Hinsicht – um Augenhöhe.

Gianna bewirbt sich für ein Medizinstudium in Münster. Als sie den Brief mit der Zusage öffnet, rollen Tränen. Vorbereitet darauf, im Rollstuhl allein nach Münster zu ziehen, ist sie nicht. Ihr Freund Marius, mit dem sie schon vor dem Unfall zusammen war, kann so schnell nicht mitziehen. Doch Herausforderungen liegen zu lassen, ist nicht Giannas Ding. Sie zieht in eine WG und beginnt das Studium in einer Stadt, die viel rollstuhlfeindliches Kopfsteinpflaster hat – aber dafür hervorragende Reitmöglichkeiten.

Reiten hilft beim Gehen

Mit Selma steigt Gianna in den Turniersport ein – mit aller Zeit, aller Anstrengung und allem Ehrgeiz, den es dafür braucht. Selma und sie werden zum Team, das auf feinste Art miteinander kommuniziert und erfolgreich wird. Selma fordert Geduld und Gelassenheit, Klarheit und Fokussierung – und immer wieder die Energie, nie aufzugeben.

„So lange Krankenhausbett – und jetzt internationale Turniere. Das überwältigt mich immer noch“, sagt Gianna. Es sind aber nicht nur die Turniererfolge, die zählen. „Wenn ich auf dem Pferd sitze, sieht man mein Handicap nicht“, sagt Gianna. „Das ist für den Kopf wirklich toll.“ Die Bewegung auf dem Pferd gibt Rumpfstabilität und trainiert die Muskeln in den Beinen, die sie noch ansteuern kann. Irgendwann kann sie zum ersten Mal allein ihren Rollstuhl in den Kofferraum stellen und mit kleinen
Schritten und Festhalten zum Fahrersitz gehen. „Das scheint alles wenig“, meint sie nachdenklich. „Aber das ist so viel mehr, als nur auf dem Pferd sitzen.“

„Das geht nicht,
ist ein blöder Satz.“

Mülltüten sind besser als Blüschen

Einen kompletten Tag in der Woche verbringt Gianna nach wie vor im Ambulanticum in Herdecke: Kraftraum, Geräte, Laufen mit Gewichtsentlastung auf dem Laufband. Zusätzlich Physiotherapie in Münster und „Joggen“ mit Rollstuhl und Hund. „Ich versuche alles, um außer Puste zu kommen, um meine Kondition zu verbessern“, erzählt sie. Aber ohne die großen Muskelgruppen in den Beinen einzubeziehen, geht das schwer. Dafür hat sie breite Schultern und die helfen ihr, mit etwas externer „Anschubhilfe“ aufs Pferd zu kommen. „Die schmalen Blüschen passen mir schon lange nicht mehr“, sagt sie lachend.

In ihrer Freizeit fährt Gianna mit Freunden auf Festivals, klassisch im Zelt und klassisch mit Regenschauern. Um das nasse Sitzkissen vom Rolli wickelt sie kurzerhand eine Mülltüte. Kreativ sein, Lösungen finden. „Das macht mich aus.“ Drei Wochen reist sie mit ihrem Freund Marius, Rucksack und Rollstuhl durch Kambodscha. „Das geht nicht, ist ein blöder Satz“, hält sie fest.

Sieben Jahre Durststrecken

Inzwischen lebt Gianna mit Marius und Dalmatiner Silas in einer Wohnung mitten in Münster. Ihre Eltern, die nichts von den ersten Reitversuchen wissen durften, sind zu ihren größten Fans geworden. Ihre Trainerin gibt ihr durch ihren scharfen, aufmerksamen Blick ein hohes Maß an Sicherheit.

„Sieben Jahre mit Durststrecken“, sagt Gianna, „da braucht man Menschen, um sich herum.“ Manchmal, um einen sanft in den Hintern zu treten, manchmal um aktiv anzupacken, manchmal, um einfach nur da zu sein.

Die Möglichkeit, auch finanzielle Unterstützung zu bekommen, ist für Gianna neuer Ansporn, um weiter zu trainieren, durchzuhalten, immer besser und erfolgreicher zu werden. Sie schafft es. Seit dem Wintersemester 2020 wir sie von der Sportstiftung NRW und WestLotto gefördert. Im Verbund ermöglichen sie Gianna ein Deutschlandstipendium. Die Universität Münster vergibt die Stipendien. Förderpartner und Bund finanzieren sie. Gianna hat dadurch jeden Monat 300 Euro in der Tasche. Um die Boxenmiete und das Training in der für sie so wichtigen barrierefreien Westfälischen Reit- und Fahrschule muss sie sich nicht mehr sorgen. „Das ist für mich richtig cool“, sagt sie. „Müsste ich zusätzlich einen Studentenjob ausüben, könnte ich Reiten, Studium und meine Physio niemals auf diesem Niveau umsetzen.“

Klotzen, nicht kleckern

Auch das Corona-Virus schafft es nicht wirklich, Gianna zu stoppen. Als die Turnierplanung von jetzt auf gleich komplett hinfällig wird, beschließt sie, das Physikum zu machen, jene unerbittlich schwierige Zwischenprüfung des Medizinstudiums. Acht bis zehn Stunden sitzt sie am Schreibtisch und büffelt. Gerade wartet sie auf das Ergebnis, holt Luft und Schlaf nach. „Mit Para Reiten kann ich kein Geld verdienen“, ist Gianna bewusst. Das Studium will sie schaffen – wenn auch nicht in der Regelstudienzeit.

Und sportlich? „Die Paralympics 2024 in Paris“, sagt sie und beinahe verdeckt ein Grinsen das Flackern in ihren Augen. Groß denken. Klotzen, nicht kleckern. Gerade wäre Gianna allerdings schon glücklich, wenn sie endlich wieder die weiße Reithose aus dem Schrank holen könnte. Die für die Turniere. „Immer wenn sie nach hinten rutscht, ziehe ich sie ein Stückchen nach vorn“, erklärt sie, „damit ich sie immer im Blick habe.“

Giannas Hilfsmittel:

Die querschnittsgelähmte Gianna Regenbrecht reitet mit Gewichts- und Zügelhilfen. Schenkelhilfen, für viele Reiter das A und O, kann sie nicht umsetzen. Ihre Beine fallen – übrigens lehrbuchmäßig – aus der Hüfte locker herunter, können aber keinen Druck ausüben. „Viele Pferde reagieren darauf beinahe erleichtert“, merkt Gianna an. Um Impulse zu geben, darf sie mit zwei Gerten reiten. Die speziellen Steigbügel verhindern ein Herausrutschen der Füße und sind zusätzlich am Gurt befestigt.
Zwei schmale Klettgurte, um die Hüfte am Sattel befestigt, sorgen für etwas mehr Halt und Gefühl im Sattel, wenn die Gangart schneller wird. Das war’s auch schon
mit Hilfsmitteln.

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