Gemischte Zimmer sind sehr beliebt. Kanuten mit Handballern, Fußballerinnen mit Schwimmerinnen, Triathleten mit Ruderern. „Dann hat man sich abends, nach Schule und Training immer etwas Neues zu erzählen“, weiß Sabine Böcker. Im Sport- und Tanzinternat Essen wohnen 50 Nachwuchssportler*innen zwischen 14 und 21 Jahren. Die Vorzüge der Sportartenvielfalt haben die meisten längst erkannt. „In der Schule muss man sein, bei uns darf man sein“, fasst Internatsleiterin Böcker mit einem Augenzwinkern zusammen.
„Wir tragen dafür Verantwortung, dass diese Jugendlichen ihre hohen sportlichen Ambitionen in einem physisch und mental geschützten Rahmen verfolgen können“, erklärt Gisela Hinnemann, stellvertretende Vorstandsvorsitzende der Sportstiftung NRW. „Unterstützung im Sportinternat ist für ihre Zukunft in jeder Hinsicht fundamental.
Die Stiftung fördert den Internatsstandort Essen im Rahmen der Qualitätsoffensive jährlich mit 46.500 Euro. Dahinter steht eine ganzheitliche Strategie. Das Internat kann dadurch essentielle Kriterien für seine Bewohner*innen erfüllen, zum Beispiel eine Rund-um-die Uhr-Betreuung durch pädagogische Fachkräfte oder Unterstützung bei schulischen Aufgaben durch Hausaufgabenhilfe und Nachführunterricht. Die hohen Standards werden jetzt durch eine Plakette der Sportstiftung NRW symbolisch belegt.
„Jeder Athlet muss auch für die Zeit nach der Sportkarriere gewappnet sein“, sagt Gisela Hinnemann, die zwischen 2006 und 2009 als Lehrerin für Mathematik Sportklassen am benachbarten Helmholtz-Gymnasium unterrichtete und Sportler am Internat nachmittags betreute. Das Gymnasium und die Elsa-Brändström-Realschule sind Partner im Verbundsystem der Eliteschulen des Leistungssports. 2013 kürte der Deutschen Olympischen Sportbund diesen Schulverbund zur Eliteschule des Jahres.
Horst Melzer, Geschäftsführer des Internats: „Das Sport- und Tanzinternat ist ein Aushängeschild für Essen und für die duale Karriere junger Talente in Leistungssport und Ausbildung. Alle Absolvent*innen legen bei uns einen qualifizierten Schulabschluss ab.“
Fußballerin Turid Knaak gelang mit Beginn ihrer Internatszeit in Essen eine beispielhafte duale Karriere. Sie wurde Nationalspielerin und promovierte in diesem Jahr sogar an der Universität zu Köln (Sonderpädagogik). Damit ist sie die erste aktive deutsche Fußball-Nationalspielerin mit Doktortitel.
Andere prominente Vorbilder aus der Rüttenscheider Talentschmiede sind Kanute Max Rendschmidt, der in Rio und Tokio drei olympische Goldmedaillen gewann. Jakob Schneider ruderte mit dem Deutschland-Achter zu Olympia-Silber, ist Welt- und Europameister. Auch Schwimmer Marius Kusch (Europameister 100m Schmetterling 2019) war bei den Olympischen Spielen dabei. Dorthin möchte in Zukunft Rosalie Kleyboldt. Die Jugend-Europameisterin wohnt aktuell noch im Internat.
1 Million im Jahr
Das im Jahr 2007 eröffnete Vollzeitinternat beherbergt Nachwuchs aus den olympischen Sportarten Schwimmen, Triathlon, Kanu, Rudern, Handball und Frauenfußball. Aufgenommen werden ausschließlich Angehörige eines Bundeskaders sowie herausragende NRW-Landeskader. Träger des Internats ist der Verein „Sport- und Tanzinternat e. V“ mit seinem Vorsitzenden Christian Hülsmann.
Die Sportstiftung fördert nordrhein-westfälische Sportinternate pro Jahr mit ca. 1 Million Euro. Darunter fallen Stellen für Internatsleiter, pädagogisches und sportpsychologisches Fachpersonal ebenso wie Projekte zur Berufsorientierung. Besonders talentierte Athlet*innen unterstützt die Sportstiftung zusätzlich mit einer Individualförderung von durchschnittlich 200 Euro pro Monat. Internatskosten können auf maximal 300 Euro monatlich gedeckelt werden.
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Der Blick ist unverbaut. Wenn Felipa Herrmann aus dem Fenster ihres Zimmers schaut, kann sie die Schwimmhalle sehen, in der sie wöchentlich mehrere Stunden verbringt. „Das motiviert mich. Es ist schön, andere Athleten schwimmen zu sehen“, sagt die 16-Jährige. Sie gehört zu den besten Nachwuchstriathlet*innen Deutschlands und ist im Nachwuchskader der Deutschen Triathlon Union (DTU). Auch der Sportplatz ist nur einen Fußmarsch entfernt. „Da die Wege sehr kurz sind, habe ich mehr Zeit für das Training. Wenn ich noch zu Hause wohnen würde, wäre es viel schwieriger.“
Das ist nur einer von vielen Gründen, warum Felipa im Alter von nur 13 Jahren von ihrem Heimatort Stolberg ins Sport- und Tanzinternat nach Essen gezogen ist. Dass sie diesen Weg eingeschlagen hat, ist durchaus bemerkenswert, im Prinzip sei es aber „eigentlich nur logisch“ gewesen, „weil ich schon immer sehr selbstständig war und mich gut in Gruppen integrieren kann“. Das wichtigste Argument für den Umzug war, „dass ich dort die besten Trainingsmöglichkeiten vorgefunden habe“. In Essen befindet sich der Landesstützpunkt Triathlon, jede Einheit wird vom Landes- oder Stützpunkttrainer begleitet. Das sei schon etwas ganz Besonderes. „Vorher hatte ich keinen festen Triathlon-Trainer“, sagt Felipa, die schon sehr früh sehr diszipliniert und engagiert ihrer Sportart nachgegangen ist.
Nicht nur Papa wird abgehängt
Beim Stolberger SV hat sie das Schwimmen gelernt, im zarten Alter von vier Jahren, später hat sie sich auch der Leichtathletik-Gemeinschaft Stolberg angeschlossen. Und so wurde der Schwerpunkt dann irgendwann fast zwangsläufig in Richtung Triathlon verschoben. „Das hat sich so ergeben, zumal meine Eltern auch Triathleten sind.“ Felipa startet in normalen Zeiten für den Brander SV, zusätzlich hat sie noch ein Zweitstartrecht für die Bundesliga. Pandemiebedingt ist sie für das Kölner Triathlon-Team 01 zwar erst einmal ins Wasser, auf das Fahrrad und die Laufstrecke gegangen. Aber das überaus erfolgreich: Beim Wettkampf in Saarbrücken Mitte September landete sie – als 15-Jährige in einem Feld mit deutschen und ausländischen Topathlet*innen – auf Rang zehn und überraschte damit die Konkurrenz.
Ihre rasante Entwicklung hat ihr eine Einladung zu einem DTU-Lehrgang eingebracht, im Bundesleistungszentrum für Spitzensportler in Kienbaum trainierte sie im Februar schon zum zweiten Mal mit Bundestrainer Thomas Möller und 18 weiteren Triathlon-Talenten. „Die Tage waren sehr abwechslungsreich – und abends ist man dann glücklich, aber erschöpft ins Bett gefallen.“
Bis zu 20 Stunden Training pro Woche
Die Schwimm- und Laufspezialistin ist froh, dass sie ihrer Leidenschaft auch während der Lockdowns nachgehen kann und nicht in ihrer Entwicklung ausgebremst wird, „auch wenn mir die Wettkämpfe natürlich fehlen“.
Beim ersten Lockdown sei die Situation ein bisschen spezieller gewesen, „damals sind wir mit einem Zugseil in einem Pool geschwommen“. Zwischen 14 und 20 Stunden trainiert sie wöchentlich. Sogar am Wochenende, wenn sie bei ihren Eltern ist, wird keine Trainingspause eingelegt, mit ihrem Vater ist sie regelmäßig auf dem Rad unterwegs. „Mittlerweile muss sich mein Vater allerdings schon anstrengen, damit ich ihn nicht abhänge“, sagt sie und lacht. Auch die kleine Schwester, die dem NRW-Kader Triathlon angehört, zählt zu ihren Trainingspartnern.
Das Internat schweißt zusammen
Felipa besucht das benachbarte Helmholtz-Gymnasium in Essen, eine Eliteschule des Sports. Die hohe Trainingsfrequenz stört die angehende Abiturientin nicht, „auch wenn ich natürlich weniger Freizeit als normale Teenager habe. Aber es fällt einem hier leichter, weil alle sehr fokussiert sind.“ Ohnehin hat sie das Leben im Vollzeitinternat kennen und schätzen gelernt, und das ging ziemlich schnell. „Das Gemeinschaftsgefühl ist toll. Viele haben das gleiche Ziel, obwohl sich die Sportarten unterscheiden. Das schweißt zusammen und es entstehen häufig gute Freundschaften.“
Nahziele sind in diesen merkwürdigen Zeiten schwierig, ein Fernziel hat Felipa dann aber doch. „Ich will irgendwann gerne mal zu den Olympischen Spielen. Aber das ist ein großes Ziel und steht ganz am Ende eines weiten Weges.“ Finanzielle Hilfe erhält sie von regionalen Unterstützern sowie von der Sportstiftung NRW, die mit dem Förderbaustein „Internat“ Felipas monatliche Kosten deutlich und zuverlässig in Grenzen hält. „Dafür bin ich sehr dankbar“, sagt die 16-Jährige.
Felipa Herrmann sicherte sich 2020 Platz eins beim dezentralen Swim & Run der Zweiten Liga. Sie gewann das Junioren-Rennen bei den Arena Games der Superleague in Rotterdam. 2019 hatte Felipa mehrere Ausrufezeichen gesetzt: Sie wurde in ihrer Altersklasse NRW-Meisterin Swim & Run und im Triathlon. Sie durfte sich Deutsche Vizemeisterin und Deutsche Mannschaftsmeisterin nennen und beendete den DTU-Gesamtcup Triathlon auf Platz zwei.